VDA Band 2:2020 - Produktionsprozess- und Produktfreigabe (PPF)
Gut Ding braucht Weile
Mit erheblicher Verzögerung ist Ende Mai 2020 die lange angekündigte sechste überarbeitete Auflage des VDA Bands 2 – Produktionsprozess- und Produktfreigabe (PPF) als „Rotband“ erschienen. Tanja Wälzholz ist für die DGQ als Trainerin im Bereich Automotive sowie als Mitglied des Zertifizierungsbeirats im Einsatz. Die IATF/VDA-Trainerin und Prüferin für 3rd Party-Auditoren erläutert die Neuerungen des VDA Bands.
Das im VDA Band 2 beschriebene Verfahren zur Produktionsprozess- und Produktfreigabe gehört zu den wichtigsten kundenspezifischen Anforderungen der deutschen Automobilhersteller und deren Zulieferer. Es verfügt über eine hohe vertragsrechtliche Relevanz in der gesamten Lieferkette.
Die konforme Umsetzung des im VDA Band 2 beschriebenen Prozesses zur Produktionsprozess- und Produktfreigabe ist ein wesentlicher Baustein zur Minimierung der Haftungsrisiken im Rahmen des strategischen Risikomanagements – unabhängig von der Art der QM-Zertifizierung des Lieferanten.
Das beschriebene PPF-Verfahren zielt auf eine vollumfängliche Freigabe sowohl intern als auch durch den Kunden eines Produktes ab, inklusive des zugehörigen Produktionsprozesses zur Serienproduktion, rechtzeitig vor dem „heiligen“ Start of Production(SOP)-Termin (Bild)
Der Startpunkt des PPF-Verfahrens liegt in der Angebotsphase. Hier muss im Rahmen der Machbarkeitsanalyse bereits die kundenspezifische Vorgabe zur Erstbemusterung (PPF oder PPAP) auf Machbarkeit überprüft und gegebenenfalls projektspezifisch angepasst und angeboten werden. Nach Vertragsabschluss bzw. Auftragserteilung – also weit vor dem SOP – vereinbaren die Vertragsparteien die detaillierte, projektspezifische Vorgehensweise zur Produktionsprozess- und Produktfreigabe. Der Lieferant trägt die Verantwortung dafür, eine solche Vereinbarung frühzeitig herbeizuführen.
Die Neuerungen der 6. Auflage 2020
Beim Vergleich des Inhaltsverzeichnisses der Vorgängerversion von 2012 mit der neuen aktuellen Auflage zeigt sich eine Veränderung in der Anzahl der Kapitel. Aus den ehemals zehn Kapiteln, die weitgehend ihre Überschrift behalten haben, sind nun zwölf geworden. Dabei wurde aus dem ehemaligen Unterkapitel 6.5 nun Kapitel 7 „Sonderabläufe“ (zeitlich gestufte, Varianten- und Kleinserien-Freigabe), und mit Kapitel 10 wurde das Thema „Requalifikation“ neu aufgenommen.
Unter der Überschrift „Requalifikation“ findet sich der Hinweis, dass Frequenz, Art und Umfang zwischen Organisation und Kunden im Rahmen der Abstimmung des PPF-Verfahrens zu vereinbaren sind. Dies erweitert die Anforderung der IATF 16949 im Abschnitt 8.6.2 Requalifikationsprüfung.
Zum besseren Verständnis und der vereinfachten Umsetzung des durchaus komplexen, herausfordernden PPF-Verfahrens wurden die vier Vorlagestufen (0, 1, 2 und 3) gestrichen. Stattdessen wird im Zuge der „Abstimmung zum PPF-Verfahren“ (Kapitel 5) individuell, das heißt projektspezifisch, vereinbart und formell dokumentiert, welche Daten, Dokumente und Musterteile wann im Projektverlauf (RGA bzw. APQP) und in welcher Form dem Kunden vorzulegen sind. Dazu ist von der Organisation (Lieferant) die Anlage 2 „Abstimmung zum PPF-Verfahren“ zu verwenden. Diese bedeutende Neuerung unterstreicht die Forderung nach aktiver Übernahme der Verantwortung der Organisation (Lieferant) für die Abstimmung des PPF-Verfahrens sowie dessen vereinbarungskonforme Umsetzung.
Neben dem schon angesprochenen Thema Requalifikationsprüfung gibt es vier weitere neue Inhalte des PPF-Verfahrens, die im Rahmen der Abstimmung zu vereinbaren und zu dokumentieren sind:
- Nachweise zur Software,
- Umgang mit Abweichungen,
- Prozess zur Schadteilanalyse sowie
- Reklamationsbearbeitung.
Der VDA Band 2 verweist in der 6. Auflage hierzu auf den jeweils mitgeltenden VDA Band. Hiermit schließt sich der (Regel-) Kreis zu den übergeordneten Regelwerken VDA 6.3 und IATF 16949, die entsprechende Anforderungen zu diesen Themen beinhalten, was den neuen VDA Band auf den aktuellen Stand der Technik hebt.
Es gibt noch eine weitere besonders erwähnenswerte Neuerung im VDA Band 2:2020. Sie steht an prominenter Stelle im Kapitel 1.2 „Ziel des PPF-Verfahrens“ und ist doch leicht zu überlesen: die nachweisliche Erfüllung der gesetzlichen, behördlichen und zulassungsrelevanten Anforderungen.
Genannt werden hier beispielhaft EU-Richtlinien, CE-Kennzeichnung und Typgenehmigungsverfahren.
Konkret finden sich diese Anforderungen in der Tabelle der PPF-Nachweise unter den Nummern 3.11 Beständigkeit gegenüber Electrostatic Discharge (ESD), 3.12 Elektrische Sicherheit/Hochvolt-Sicherheit und 3.13 Elektromagnetische Sicherheit (EMV).
Die zugehörigen Richtlinien und Normen finden sich im Kapitel 11 „Begriffe“ unter den jeweiligen Definitionen der Begriffe und deren Abkürzungen, wie zum Beispiel ESD oder EMV. Das heißt, zu den mitgeltenden Vorgabedokumenten gehören neben den einschlägigen VDA Bänden auch die entsprechenden Gesetze, Verordnungen und Normen.
Mit ihrer Unterschrift auf dem Deckblatt des PPF-Berichts und der PPF-Bewertung (VDA Band 2, Anlage 4) bestätigen die Lieferanten die konforme Umsetzung und Erfüllung aller – also auch der gesetzlichen und behördlichen – im PPF vereinbarten Anforderungen mit ihrem Namen.
Im Kapitel 12 „Anlagen und Downloads“ (ehemals Kapitel 10) – die Anlagen machen bezogen auf die Seitenzahlen mehr als die Hälfte des Bandes aus – finden sich einige Neuerungen, die die Zielsetzung des VDA Bands unterstreichen und unterstützen: die Intensivierung der Kommunikation zwischen liefernder Organisation und Kunde zur Vereinbarung und konformen Umsetzung des PPF-Verfahrens:
- Abstimmung zum PPF-Verfahren (in diesem Dokument wird das Ergebnis der Vereinbarung über Umfang, Inhalt und Zeitplan des projektspezifischen PPFVerfahrens im Detail dokumentiert);
- Tabelle „Hinweise zur PPF-Nachweisführung“;
- Teilelebenslauf;
- Deckblatt PPF-Software.
Was ist unverändert in der 6. Auflage
Es wäre fahrlässig an dieser Stelle die bewährten, altbekannten Inhalte des VDA
Bands 2 nicht anzusprechen.
Dazu gehört in erster Linie der Auslöser des PPF-Verfahrens (Kapitel 3) mit der dazugehörigen Auslösematrix (Anlage 8), die auch in dieser Auflage unverändert Gültigkeit haben.
Die Auslösematrix definiert, über welche Änderungen am Produkt oder Produktionsprozess
der Kunde zu informieren ist, bevor die Organisation (Lieferant) eine Änderung implementiert. Nur wenn der Kunde dieser geplanten Prozess- oder Produktänderung schriftlich dokumentiert zugestimmt hat, darf die Organisation die Änderung umsetzen – natürlich erst nach Abstimmung des PPF-Verfahrens für diese Änderung.
Pflichten der Anwender
Wenn für eine Organisation das PPF-Verfahren nach VDA Band 2 zu den relevanten kundenspezifischen Anforderungen gehört, sind folgende Schritte zu tun:
- Beschaffung der 6. Auflage des VDA Bands 2;
- Kenntnisnahme der Inhalte, vor allem der Neuerungen;
- Information an alle vom PPF-Verfahren betroffenen Prozesseigner (vom PPF sind alle kundenorientierten Prozesse betroffen);
- entsprechende Anpassung der betroffenen Prozesse und deren Prozessbeschreibungen inklusive der mitgeltenden Unterlagen;
- gemeinsam mit den Prozesseignern die Organisation von Schulungen für alle betroffenen Mitarbeiter;
- Klärung mit den betroffenen Kunden, ab wann das neue PPF-Verfahren für neue Projekte sowie – je nach Vertragslage – für Änderungen (Produkt und Prozess), angewendet werden muss. Laut VDA 2-Arbeitskreis haben die OEMs eine Übergangsfrist bis spätestens Ende 2021 definiert.
Mit dem neuen VDA Band 2 liefert der VDA eine wertvolle Unterstützung zur konstruktiven und wertschöpfenden Kommunikation zwischen Kunde und Lieferant in der gesamten automobilen Lieferkette. Dieser Band hat – ebenso wie der VDA Band 6.3 Prozessaudit – das Potenzial, zum Benchmark auch für andere Branchen zu werden.
DGQ

DGQ Deutsche Gesellschaft für Qualität
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