Geneigten Lesern dürften die letzten beiden QZ-Ausgaben schwer im Magen liegen. In beiden malte der Karriere-Experte Hans Weber ein recht düsteres Bild von der Zukunft des QM-Berufs. Er vertritt die Ansicht: Um auf dem Arbeitsmarkt auch in Zukunft zu bestehen, müssen sich Qualitätsmanager neu erfinden. Denn ihre bisherigen Fähigkeiten und Denkweisen würden sie – zumindest in den Augen potenzieller Arbeitgeber – nicht ausreichend für die künftig geforderte Rolle als Organisationsentwickler in einem dynamischen Arbeitsumfeld qualifizieren. Für den QM schlägt es also fünf vor zwölf.

Doch, Qualitätsmanager sind qualifiziert, ja geradezu prädestiniert für diese Aufgaben – diese Meinung vertritt die EFQM-Expertin Birgit  Behrens-Otto. Welche „Superkräfte“ den Qualitätsmanager in ihren Augen auszeichnen, lesen Sie auf Seite 10.

Zwei konträre Meinungen? Eher zwei Seiten einer Medaille, denn in einem Punkt sind sich beide Autoren einig: Viele Qualitätsmanager haben ein Problem mit der Selbstvermarktung und damit, das Top-Management von den eigenen Fähigkeiten und Potenzialen nachhaltig zu überzeugen. Hierfür ist zuallererst eine realistische Selbsteinschätzung  gefragt. Und diese findet sich meist zwischen den Extremen.

Regina Levenshtein [<a href="mailto:regina.levenshtein@hanser.de">regina.levenshtein@hanser.de</a>]

Editorial Levenshtein

Digitalisierung als goldenes Zeitalter für Qualitätsmanager

Kraft ihrer Ausbildung sind Qualitätsmanager auch Systemversteher. Doch nicht immer gibt ihnen die Aufbauorganisation den nötigen Spielraum, um ihr Wissen einzubringen. Dies ändert sich mit der digitalen Transformation, die traditionelle Strukturen durcheinanderwirbelt. Nun können Qualitätsmanager jene „Superkräfte“, die bisher im Korsett des Organigramms schlummerten, selbstbewusst entfalten – und das EFQM-Modell erlebt eine Renaissance.

Qualitätsmanager ihrer Ausbildung nach Systemversteher. Mit der digitalen Transformation kommt der nötige Spielraum, um dieses Wissen einzubringen,– und das EFQM-Modell erlebt eine Renaissance.

Systemdynamik steht im Zentrum der QM-Ausbildung, denn Aufgabe des QM ist es, die Probleme der Massenfertigung systemisch anzupacken. Schließlich arbeitet der QM mit Prozessen, die sich über die Zeit und durch die Beteiligung vieler Interessenten verändern und sich gegenseitig beeinflussen. Diese hochkomplexen Prozesse verlaufen meistens nicht linear und schon gar nicht in den geregelten Bahnen der Aufbauorganisation. Entsprechend unterscheidet sich der „Werkzeugkasten“ der Qualitätsmanager deutlich von dem ihrer Manager-Kollegen.

In der Theorie ist die QM-Aufgabe klar: Prozessregelung in  einem hochdynamischen System. In der Praxis macht das  Organigramm nicht selten einen Strich durch die Rechnung. Sein Ordnungsprinzip ist der Apparat mit Arbeitsteilung und Kontrolle – das Gegenteil von Systemdenken! Treffen beide Prinzipien aufeinander, ist Knirschen vorprogrammiert. Machtvolle „Apparatschiks“ entscheiden sich oftmals für Aktionen, die in systemischem Lichte betrachtet im besten Fall kurzsichtig und im schlimmsten Fall kontraproduktiv für den  Erfolg sind. Selten treibt sie eine böse Absicht, öfter Unwissenheit oder die Angst, entscheidungsscheu zu wirken.

Wie reagieren kluge Qualitätsmanager? Sie begnügen sich mit einer Rolle als Prozessmaler oder Suboptimierer in einem von ihnen beherrschbaren Raum. Hierarchisch meist auf einer mittleren Ebene angesiedelt, entgehen sie so den kalten Winden, die Top-Manager umwehen und gelegentlich aus den Sesseln heben.

Die Digitalisierung beendet diese unheilvolle Koexistenz von System und Apparat. Gott sei Dank, mag man ausrufen, endlich wird alles zum System! Aber was entsteht nun, und wie finden die unterschätzten Experten für Dynamik in der digital transformierten Organisation ihren angemessenen Platz? Gut ausgebildeten Qualitätsmanagern eröffnet die digitale Transformation große Chancen: Ihr Systemwissen wird gebraucht! Aber dafür müssen sie ihr Wissen und ihre Person vermarkten. Ein Paradigmenwechsel für eine Zunft, die sich bisher eher als gute Zuhörer und stille Forscher verstand denn als großspurige Selbstvermarkter.

EFQM-Modell: Leistungsfähigkeit und Transformation

Die Transformation bringt eine gute und eine schlechte Nachricht mit sich. Die schlechte: Wenn sich alles neu ordnet, muss der QM aktiv mitmischen. Abwarten, bis eine transformierte Organisation feststellt, dass es auch digital nicht ohne QM geht, ist die falsche Strategie. Die gute Nachricht: Das Ende der Apparate-Logik ist auch das Ende des Peter-Prinzips mit machtvollen Menschen am falschen Ort. Hierarchie und Organigramm wandern ins Museum der Geschichte. System, Prozess und Tätigkeit treten in den Vordergrund. Für Qualitätsmanager ist das vielleicht so verblüffend, dass sie dem Ganzen nicht recht trauen. Hatten sie nicht jahrzehntelang für Prozessmanagement gekämpft, das mehr ist als von der Aufbauorganisation ignorierte Diagramme? So etwas gab es doch nur in der hehren Welt der Excellence-Modelle, die in den 1990ern das Licht der Welt erblickten. EFQM-Assessoren wurden lange als Träumer belächelt, als ein sektenartiges Grüppchen mit eigenem Sprachcode und magischen Assessment-Momenten weit ab vom Tagesgeschäft.

Das EFQM-Modell 2020 ist nichts weniger als ein systemisches Handwerkszeug für alle Manager: Interessengruppen im Austausch, welche die Form des Systems bestimmen, Unternehmen ganzheitlich skalieren, Ursache-Wirkungs-Mechanismen verstehen, Prozesse modellieren, Dynamik einfrieden, nicht linearen Prozessen mit statistischen Methoden auf die Schliche kommen und systematisch Neues erkunden. Genau diesen Handwerkskasten benötigen wir für die Transformation – „systemisch“ haben wir QM-er drauf!

Aber keiner wird auf uns zukommen. Wir Qualitätsmanager müssen uns selbst ins Spiel bringen! Also machen wir uns fit: Lebenslauf kritisch überarbeiten, Fotos und Leistungsnachweise aktualisieren, Wissenslücken schließen. Werfen wir doch einmal unseren Hut in den Ring einer digitalen Personalvermittlung. Suchen wir das Gespräch mit unserer Personalentwicklung. Testen wir unseren Marktwert!

Schulterschluss zwischen QM, Controlling und HR

Wenn alles neu verhandelbar ist, dann gilt es, rechtzeitig neue Koalitionen zu schmieden. Der Kompetenz-Dreiklang für Transformation besteht aus QM, Controlling und Personalentwicklung. Alle drei können Fertigkeiten des systemischen Denkens in Transformationsprojekte einbringen: Steuerung von Prozessdynamik (QM), Steuerung durch Kenngrößen (Controlling) sowie Modellierung künftiger Realitäten (Personalentwicklung). Wir sind gefordert, dieses Bündnis aktiv herzustellen, da die Funktionen in der traditionellen Organisation meist unterschiedlich verortet sind. Eine Gefahr lauert im Fehlen der notwendigen Stärke dieser drei Funktionen im hierarchischen Machtpoker. Doch es nützt nichts. Wir müssen uns aus unserem Bau wagen. Beobachten wir die Machtverhältnisse genau, um Wendepunkte zu erkennen und unser rechtzeitig ins Spiel zu bringen.

Qualitätsmanager sind nicht nur in der Lage, die Leistungsfähigkeit des Tagesgeschäfts zu erhöhen, sondern durch ihre systemischen Fähigkeiten und Fertigkeiten auch Transformationsprojekte für zukünftige Organisationsformen zu übernehmen. Andere Manager entdecken dieses systemische Denken gerade erst. Es stand bisher nicht auf dem Lehrplan einschlägiger Business Schools.

Lasst uns offen auf unsere Kollegen zugehen, unser System-Wissen anbieten und mit Interesse deren spezielle Fähigkeiten und Erfahrungen erkunden, die sie in starrer  Hierarchie vielleicht gar nicht zur Blüte bringen konnten. Entdecken wir den Menschen hinter seiner Funktion und die Leidenschaft, die ihn antreibt. Was immer es ist, wir werden es für unsere Transformation benötigen.

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Behrens-Otto_EFQM - Meinung Plädoyer Recht

Birgit Behrens-Otto, Betriebswirtin und Historikerin, arbeitet seit 1997 freiberuflich als Beraterin. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind die Gestaltung systemischer Managementstrukturen auf Basis des EFQM-Modells und individualisierte Reifegrad-Assessments. Birgit Behrens-Otto ist ILEP-Operating Partner, ASQ Senior Member, EFQM Master Assessor und LEP-Teamleiterin.

EFQM

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Seminare, Schulungen, Kongresse

Der Werkzeugkasten der Führungskraft 4.0

Nicht nur Produkte oder Unternehmen durchlaufen auf dem Weg zur Industrie 4.0 bestimmte Reifegrade – eine vergleichbare Entwicklung machen auch Führungskräfte durch. Bei der Transformation geht es vor allem darum, Informationen aus den richtigen Quellen vorausschauend zu verarbeiten, um auf dieser  Basis sinnvolle Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.

Auf dem Weg zur Industrie 4.0 geht es für Führungskräfte vor allem darum, Informationen vorausschauend zu verarbeiten, um sinnvolle Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.

Wirklich herausragende Führungskompetenzen waren schon immer eine Herausforderung – auch vor dem digitalen Wandel. Die erste industrielle Revolution brachte im Eisenbahn- und Schiffsbau die Anforderung, viele angelernte Menschen zu führen. Die Antwort der Führung auf die Massenfertigung der zweiten industriellen Revolution war die Akkord- und Fließbandarbeit nach dem Konzept des Taylorismus, einer neuen Art arbeitsteiliger Betriebsführung, bei der Planung und Ausführung systematisch getrennt wurden. Industrie 3.0 bot mit der Computerisierung wiederum neue Möglichkeiten, Unternehmen effizient zu steuern. All diesen Phasen war eines gemeinsam: Führungskräfte als legitimierte „Vorgesetzte“, die in ihrer Führungsverantwortung mit Macht ausgestattet sind und „ihre“ Mitarbeiter arbeitsfähig machen. Erst die vierte industrielle Revolution rüttelt an diesem Führungsverständnis. Der damit einhergehende Kontroll- und Machtverlust bedeutet für die Führungskräfte einen Paradigmenwechsel und zwingt sie, sich selbst einer Revolution zu unterziehen: hin zur Führungskraft 4.0.

Die Herausforderung einer Führungskraft 4.0 besteht darin, die Orientierung nicht aus der Vergangenheit abzuleiten, sondern in der Zukunft zu suchen. Dabei ist es hilfreich, sich von dem Schein-Dilemma zwischen Agilität und Stabilität zu befreien: Viele glauben, sich entscheiden zu müssen zwischen Geschwindigkeit und Flexibilität auf der einen Seite sowie Stabilität und festen Strukturen auf der anderen Seite. Die Realität bestätigt: Beide Seiten sind gleichermaßen notwendig. Führungskräfte, die in der Zukunft erfolgreich sein werden, schaffen es, beide „Polaritäten“ in Einklang zu bringen. Sie sind sowohl stabil – also belastbar, zuverlässig und sicher – als auch dynamisch – also schnell, kreativ und adaptiv.

Das schaffen erfolgreiche Führungskräfte, indem sie erkennen, was im dynamischen Wirkungsumfeld stabil bleibt. Wer Visionen vermitteln kann und Werte vorlebt, der schafft in einem komplexen und scheinbar unplanbaren Marktumfeld einen „Pfad“ mit stabilen Orientierungspunkten. Ein verständliches, langfristig stabiles Bild von der Zukunft ist die Voraussetzung, dass die Mitarbeiter ihren Beitrag zum Ganzen erkennen und davon abgeleitet überschaubare Teilziele und Maßnahmen formulieren können.

Die Umsetzung der zielgerichtet definierten Beiträge und Anforderungen kann schnell, kreativ und adaptiv im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten erfolgen. Die Kunst bei der Realisierung anspruchsvoller Ziele besteht darin, die stabile langfristige Ausrichtung in einen produktiven  Zusammenhang mit dem Tagesgeschäft zu bringen, bei dem man oft nicht einmal die nächsten 24 Stunden vorhersehen kann.

Um diesen Bogen von der Zukunft in die Gegenwart zu spannen, brauchen Verantwortliche die Kompetenz, mit sinnvollen Zielen und Werten zu führen. Ein gleichwertig entscheidender Erfolgsfaktor ist die strukturelle Führungskompetenz. Strukturelle Führung ist die Voraussetzung für selbstbestimmtes Handeln und mehr gelebte Eigenverantwortung. Führungskräfte mit dem Selbstverständnis der „strukturellen Führung“ definieren Aufgaben und Prozesse klar und transparent, damit Entscheidungen dezentral und eigenverantwortlich getroffen werden können.

Das Selbstverständnis von Führungskräften, die konsequent strukturell führen, lässt sich in folgender häufig gehörter Aussage zusammenfassen: „Wenn ich mich um alles im Detail kümmern würde, dann hätte ich keine Zeit mehr, die strukturellen Probleme zu lösen.“Die Dynamik im Umfeld erfordert für alle Ausführenden eine wirksame Infrastruktur, die einen klaren Rahmen für dezentrale Verantwortung liefert. Insgesamt lässt sich festhalten: Die Aufgabe der Führungskraft 4.0 wandelt sich vom Manager des Tagesgeschäfts zum Problemlöser und Architekt organisatorischer Infrastrukturen, die eigenverantwortliches Denken und Handeln sowie Kunden- und Marktorientierung sicherstellen.

Auf dem Weg zu einer leistungsfähigen Infrastruktur, die eine Kultur der Eigenverantwortung fördert, durchläuft eine Organisation wichtige Stationen, die in fünf Reifegraden beschrieben werden können. Je nach Selbstverständnis und Erfahrung des Top-Managements kann der Entwicklungsprozess, in dem diese Reifegrade durchlaufen werden, wenige Monate oder mehrere Jahre dauern (Bild 1). Die Reifegrade der Führungskraft 4.0 bauen aufeinander auf und beschreiben die Art und Weise, wie wirksam eine Führungskraft mit Informationen umgehen und diese in strategische Entscheidungen „übersetzen“ kann.

Grundlage für den Wandel zur Führungskraft 4.0 ist die Strukturierungsfähigkeit. Die Strukturierung erfolgsrelevanter Daten wie Strategien, qualitative Ziele, Werte, Aufgaben und Maßnahmen ist die Voraussetzung dafür, dass Verantwortung für Entscheidungen delegiert und Mitarbeiter auf die Zwecke und Ziele des Unternehmens ausgerichtet werden können.

Neue Erwartungen der Kunden an Produkte und Dienstleistungen, die aus Veränderungen in einem sich umstrukturierenden Wirkungsumfeld resultieren, wirken sich oft völlig anders auf die Organisation und die Finanzen aus als die Kundenanforderungen in der Vergangenheit. Mit den immer gleichen Kennzahlen Absatz und Umsatz werden diese Veränderungen erst viel zu spät erkannt.

Ereignisse treten auf dem Markt nicht zufällig ein. Ihre Ursachen entwickeln sich oft über lange Zeit hinweg. Die Mitarbeiter mit Markt- und Kundenkontakt bekommen diese Ursachen oft hautnah mit. Führungskräfte, die diese Veränderungen nicht direkt erleben, nehmen die schwachen Signale des Marktes oder der eigenen Mitarbeiter meist gar nicht wahr. Sobald diese Entwicklungen einmal eingesetzt haben, weisen sie implizite Verlaufsformen und Muster auf, die es zu erkennen gilt. Die Visualisierung der Zusammenhänge und Muster dieser Entwicklungen ist eine wesentliche Voraussetzung, um handlungsleitende Erkenntnisse zu gewinnen.

Die Visualisierung strategischer Erfolgsfaktoren wie beispielsweise Kompetenz, Prozessqualität, Image oder Innovationskraft setzt voraus, das vorhandene Wissen aus den Köpfen der Führungskräfte und Mitarbeiter zu holen und in den Kontext der Vision und Unternehmensstrategie zu bringen. Dies gelingt, wenn die Daten unmittelbar bei der Erfassung über geeignete Benutzerschnittstellen, intelligente Datenmodelle und Vernetzungslogiken in sinnvolle Zusammenhänge gebracht werden. Implizites Wissen wie die Hintergrundinformation zu einer Zielentwicklung effizient in strategische Informationen zu transformieren wird zur Überlebensnotwendigkeit für jede Organisation.

Erkenntnis beinhaltet neben dem Wissen auch die Einsicht in die Bedeutung eines Sachverhalts, z.B. die Einschätzung, ob eine Information wichtig für ein Ziel ist. Unstimmigkeiten treten offensichtlich zutage, wenn sauber strukturierte und inhaltlich differenzierte strategische Daten in sinnvollen Zusammenhängen vorliegen, beispielsweise die Unternehmensziele inklusive der zugehörigen Teilzeile und der daraus abgeleiteten Strategien und Maßnahmen. Die Zusammenhänge zu erkennen ist eine wichtige Grundlage für mehr Klarheit.

Erhält der erfahrene Entscheider die Visualisierung des dokumentierten Erfahrungswissens der Ziel- und Maßnahmenverantwortlichen mit persönlichen Prognosen im Zeitverlauf, dann entsteht die Erkenntnis über die Funktions- und Überlebensfähigkeit des strategischen Geschäftsmodells. Die einzelne Erkenntnis eines Entscheiders ist nicht ausreichend für den Erfolg, wenn alle Führungskräfte dezentral und eigenverantwortlich ihren Beitrag zum Ganzen umsetzen sollen. Der Erfolg tritt in der Regel erst dann ein, wenn die überwiegende Mehrheit aller Beteiligten das Wissen und die Einsicht besitzt, d.h. den Sinn und die Notwendigkeit der Veränderungen verstanden hat.

Bei Prognosen neigt man häufig dazu, aus der Rückspiegelperspektive, d.h. den statistisch aggregierten Kennzahlenbäumen mit Vergangenheitsdaten auf zukünftige Entwicklungen zu schließen. Die Entwicklung der Prognostik muss sich vom Denken aus der Vergangenheit hin zum Vorwegnehmen der Zukunft wandeln. Weg vom Denken: „Wir hatten in den letzten Jahren immer sieben und mehr Prozent Mengenzuwachs bei den Produktgruppen“ hin zum Denken: „Wir können unseren Umsatz nur steigern, wenn wir neue Produkte mit neuen Anforderungen auf den Markt bringen.“

Wer jene Personen in die Prognostik einbezieht, die täglich mit Kunden und Marktentwicklungen konfrontiert sind, kann Überraschungen vermeiden und ein realistisches Bild der Gegenwart und Zukunft visualisieren. Mit den dadurch gewonnenen Einsichten und einem hohen Maß an Selbstreflexion kann eine Führungskraft den Reifegrad der Anpassungsfähigkeit erreichen.

Anpassungsfähigkeit bedeutet: Man erkennt die Notwendigkeit, sich anzupassen, noch bevor das Geschehen im Umfeld die Veränderung erzwingt. Nur wenn Führungskräfte erste Anfänge eventuell später eintreffender Effekte überhaupt erkennen und geschäftsspezifisch deuten, sind sie in der Lage, das Unternehmen zu führen, anstatt von externen Entwicklungen fremdgesteuert zu werden.

In der Geschäftswelt wird Erkenntnisfähigkeit zum Engpass für die Anpassungsfähigkeit. Letztere setzt voraus, dass man sich die Erfolgsursachen überhaupt vorstellen kann, die zur Vision führen. Der schlimmste Fall tritt ein, wenn Führungskräfte Entwicklungen, die relevant sind für den zukünftigen Erfolg, gar nicht erst wahrnehmen oder wenn ihnen die Einsicht fehlt, dass schwache Signale bedeutend sind für den zukünftigen Erfolg. Dann verpassen die Führungskräfte und die von ihnen gelenkten Unternehmen die Chance, sich proaktiv an das zukünftige Umfeld anzupassen.

Der autoritäre Führungsstil mit Befehl, Anweisung und Vorgabe funktioniert selbst in klassischen, nicht digitalisierten Branchen immer weniger. Der Fachkräftemangel und der dadurch entstehende Anspruch junger Talente und Führungskräfte an die Führungskultur und Organisation erstreckt sich mittlerweile über alle Branchen hinweg. Umso wichtiger wird es für alle Unternehmen, kulturelle und organisatorische Infrastrukturen zu schaffen, welche die Führungskompetenzen einer Führungskraft 4.0 zulassen.

Die Grundlage jedes erfolgreichen Führungssystems ist ein stabilisiertes und zuverlässiges Wissen über das unternehmensspezifische Ursache-Wirkungs-Gefüge der strategischen Erfolgsfaktoren. Um die Menschen im Unternehmen zu gewinnen, ist es erfolgskritisch, wie das Erfolgswissen visualisiert und kommuniziert wird.

Letztendlich kommt es darauf an, welche Erkenntnisse die Entscheider aus den visualisierten Daten ableiten. Die Erfolgsfragen lauten, ob sich das Unternehmen an der Vergangenheit oder an der Zukunft orientiert und ob die gelebte Führungs- und Unternehmenskultur davon geprägt ist, den Fokus auf die Resultate (Kennzahlen) oder auf die Erfolgsursachen zu legen.

Bild 1. Während der Entwicklung hin zur Führungskraft 4.0 werden fünf aufeinander aufbauende Reifegrade durchlaufen. Quelle: Communic

Communic_Hagmayer - Hauptartikel

Harald Hagmayer ist Geschäftsführender Gesellschafter der Communic Unternehmensberatung GmbH in Augsburg. Communic unterstützt seit über 20 Jahren Führungskräfte mit dem softwaregestützten Führungssystem <a href="http://Vision.iC">Vision.iC</a> dabei, eine Kultur der Anpassungsfähigkeit und Eigenverantwortung in ihren Unternehmen zu etablieren.

T 0821 21785-0, <a href="mailto:harald.hagmayer@communic.eu">harald.hagmayer@communic.eu</a>

Industrie 4.0 für die Qualitätssicherung

Industrie 4.0

Führung / Leadership

Qualitätsmanagement

Führung

Wirtschaft

Management allgemein

App zur Anwendung bei kleinen Stückzahlen

Eine Voraussetzung, um die Statistische Prozesslenkung (SPC) anwenden zu können, ist eine große Anzahl an Messdaten eines Merkmals. Dies ist in der Kleinserienfertigung oft schwer zu erfüllen. Im AiF-Forschungsprojekt der FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e. V. mit dem Titel „GriPS – Softwaregestützte Gruppierung ähnlicher Merkmale für die Prozesslenkung bei kleinen Stückzahlen“ wurde eine App entwickelt, die ähnliche Merkmale gruppiert und damit SPC und Prozessfähigkeitsnachweise auch bei kleinen Stückzahlen ermöglicht.

Im AiF-Forschungsprojekt der Forschungsgemeinschaft Qualität e. V. wurde eine App entwickelt, die Merkmale gruppiert und damit SPC und Prozessfähigkeitsnachweise auch bei kleinen Stückzahlen ermöglicht.

Die Herausforderung, SPC auf kleine Stückzahlen anzuwenden, besteht in der geringen Anzahl an verfügbaren Daten <a href="http://[1]">[1]</a>. So fehlt Unternehmen oft die Basis, um sicherheits- und qualitätsrelevante Entscheidungen treffen zu können. Ihre Prozesse sind nicht steuerbar, nicht vergleichbar, und sie unterliegen dem Qualitätsbewusstsein des Werkers. Um Messdaten für SPC valide auswerten zu können, ist eine Mindestanzahl von 125 Messdaten üblich <a href="http://[1]">[1]</a>. In der Kleinserienfertigung kann diese Anforderung häufig nicht erfüllt werden. Wenn SPC normalerweise angewendet wird, wird oft nur ein Merkmal eines Produkts betrachtet <a href="http://[2]">[2]</a>. Um die Datenbasis zu vergrößern, betrachtet man – gemäß ISO/DIS 7870-8: Control Charts: Charting techniques for short runs and small mixed batches – nicht das Produkt, sondern den Prozess <a href="http://[3]">[3]</a>.

Es werden ähnliche Merkmale, die vom gleichen Prozess, aber unterschiedlichen Produkten stammen, zu Prozessmerkmalen gruppiert. Prozessmerkmale können z. B. Wellendurchmesser mit unterschiedlichen Nennmaßen sein. Indem die Datenbasis durch das Gruppieren vergrößert wird, kann SPC angewendet und können qualitätsrelevante Entscheidungen getroffen werden. Um jedoch die Validität der Entscheidungen sicherzustellen, müssen die Prozessmerkmale ausreichend ähnlich sein <a href="http://[3]">[3]</a>. Wie die Ähnlichkeit gewährleistet wird, beantwortet ISO/DIS 7870-8 nicht <a href="http://[4]">[4]</a>.

Die am AiF-Projekt GriPS teilnehmenden Unternehmen hatten dieses Problem. Sie sind im Werkzeugmaschinenbau, Werkzeugbau, in der Luft- und Raumfahrt sowie der Lohnarbeit tätig und produzieren hauptsächlich Kleinserien mit Losgrößen kleiner 100. Alle Unternehmen haben gemein, dass sie hohe Qualitätsanforderungen erfüllen müssen, fehlerhafte Teile zu hohen Ausschusskosten führen und Kunden oft Prozessfähigkeitsnachweise verlangen. Daher hatten die Unternehmen sich zum Ziel gesetzt, mit der in GriPS entwickelten App Merkmale ähnlicher Bauteile zu gruppieren, um SPC anzuwenden [5, 6].

Die App unterstützt Unternehmen mit einem automatisierten Gruppierungsalgorithmus dabei, ähnliche Merkmale sinnvoll zu Prozessmerkmalen zu gruppieren. Mithilfe des Gruppierens wird die Datenbasis erhöht, damit geeignete Qualitätsregelkarten nach ISO/DIS 7870-8 nutzbar sowie Prozessfähigkeitskennwerte nach DIN ISO 22514-1: „Statistical methods in process management – Capability and performance“ bestimmbar sind.

Die App wurde mit an GriPS teilnehmenden Unternehmen entwickelt, berücksichtigt deren industrielle Anforderungen (Datenformate, Bedienbarkeit etc.) und wurde anhand der Fertigungsprozesse der Unternehmen validiert. In Bild 1 sind das Vorgehen zur Gruppierung und Sicherstellung der Ähnlichkeit der gruppierten Merkmale sowie der benötigte Informationsfluss dargestellt. Das Vorgehen ist als App realisiert. Die App erhält alle Bauteilinformationen wie prüfungsrelevante Produktmerkmale und Toleranzen. Zudem werden sowohl die Fertigungsprozessinformationen wie Werkzeug, Aufspannung etc. als auch die Messinformationen der Merkmale bereitgestellt.

Mit den Informationen und statistischen Methoden werden ähnliche Merkmale gruppiert. Die Gruppen ermöglichen eine Stabilitätsüberwachung und eine Angabe von Fähigkeitskennwerten. Entsprechend gliedert sich die App in „Gruppieren von ähnlichen Merkmalen“, „Stabilitätsüberwachung“ und „Kennwerte zur Fertigungssteuerung“. Durch Rückführung der Auswertungsergebnisse in die Fertigung ist die Qualitätssicherung gewährleistet.

Den Kern der App bildet der entwickelte Gruppierungsalgorithmus. Er analysiert historische Messdaten von Merkmalen verschiedener Produkte und fasst diese anhand eines statistischen Ähnlichkeitskriteriums zu Prozessmerkmalen zusammen. Als Ähnlichkeitskriterium wurde das statistische Maß der Homogenität der Lage und der Streuung der Gruppen gewählt. Für die Auswahl des Maßes wurde auf die Grundidee von SPC zurückgegriffen: Bei SPC wird zwischen der kleinen Streuung aufgrund allgemeiner Ursachen (zufällige, nicht kontrollierbare Prozesseinflüsse) und der großen Streuung aufgrund besonderer Ursachen (Maschinen-, Materialfehler etc.) unterschieden. Letztere gilt es zu identifizieren und zu beseitigen. Das Gruppieren verursacht eine neue Streuung: die Streuung aufgrund des Gruppierens. Damit also vertrauenswürdige Aussagen aus den gruppierten Merkmalen getroffen werden können, muss die Streuung durch die Gruppierung vernachlässigbar bzw. die statistische Ähnlichkeit der gruppierten Merkmale gegeben sein. Ansonsten sind Fehlentscheidungen möglich, da gegebenenfalls die Streuung aufgrund der Gruppierung nicht von der Streuung aufgrund besonderer Ursachen unterschieden und diese deshalb nicht valide aufgedeckt werden kann. Das Ähnlichkeitskriterium hilft also, die Streuung aufgrund der Gruppierung vernachlässigbar klein zu halten, indem nur ähnliche Merkmale Gruppen bilden können <a href="http://[6]">[6]</a>.

Um den Gruppierungsalgorithmus in der App anzuwenden, werden die in Bild 1 dargestellten zwei Schritte durchlaufen:

<ul><li>1. Metadaten: Um die Ähnlichkeit der Merkmale nachzuweisen, werden aus den Bauteil-, Fertigungs- und Messinformationen Metadaten abgeleitet. Die Metadaten dienen als Grundlage, um homogene Gruppen zu bilden. Sie geben die Unterschiede der als ähnlich vermuteten Merkmale wieder und werden mit Expertenwissen, z. B. mithilfe eines Ishikawa-Diagramms, identifiziert. Dazu lautet die Frage: „Was könnte zu Gruppen bei Merkmalen führen?“ Mit diesem Wissen werden aus den Bauteil-, Fertigungs- und Messinformationen Metadaten wie Aufspannung, Werkstoff etc. entnommen und den Messwerten der einzelnen Merkmale zugeordnet.</li><li>2. Clusteranalyse und Homogenitätstests: Anhand der Metadaten werden die Merkmale mithilfe ihrer historischen Messwerte auf vermutete Gruppen untersucht. Dafür wird aus den Messwerten die Abweichung vom Nennwert gebildet, um beispielsweise ungleiche Durchmesser zu kompensieren. Die vermuteten Gruppen werden durch Clusteranalysen und Homogenitätstests auf Lage und Streuung bestätigt oder verworfen. Erweisen sich mehrere Merkmale unterschiedlicher Teile gemäß ihrer Lage und Streuung als homogen, werden Gruppen gebildet. Die vergrößerte Datenbasis ist nun für Qualitätsregelkarten und Prozessfähigkeitsnachweise anwendbar.</li></ul>

Anwendung der App auf ein  Praxisbeispiel

Um die praktische Anwendbarkeit des Gruppierungsalgorithmus nachzuweisen, wurde er mit Monte-Carlo-Simulationen und einem Design of Experiments validiert sowie auf die Daten teilnehmender Unternehmen angewendet.

Experten der Unternehmen haben die Ergebnisse validiert und die Prozessmerkmalsgruppen für physikalisch sinnvoll erachtet. Als reales Anwendungsbeispiel wurde der Fertigungsprozess von Drehteilen mit der App ausgewertet. Die Ergebnisse sind in Bild 2 dargestellt.

Die Drehteile werden in Kleinserien – acht Varianten mit einer durchschnittlichen Losgröße von 50 – gefertigt. Eines der Merkmale ist der Außendurchmesser der Drehteile. Durch Experten wurden folgende Metadaten identifiziert:

<ul><li>über Bauteilinformationen: Nenndurchmesser, Länge und Werkstoff;</li><li>über Fertigungsprozessinformationen: Aufspannung (weitere Informationen wurden im Unternehmen leider nicht dokumentiert);</li><li>über Messprozessinformationen: keine, da alle Teile mit einer Koordinatenmessmaschine gemessen wurden.</li></ul>

Bild 2 stellt den Gruppierungsbaum dar, der mit den Daten und dem Gruppierungsalgorithmus erreicht wird. Oben zeigt er, welche Metadaten zu den Gruppen (Werkstoff, Aufspannung) führen, und im untersten Knoten, welche Außendurchmesser gruppiert sind. Die übrigen Metadaten (Nenndurchmesser, Länge) zeigen keinen Einfluss auf, sodass keine weiteren Gruppen gebildet werden.

Die Gruppen wurden auf Qualitätsregelkarten und zur Berechnung von Prozessfähigkeitskennwerten angewendet. Bei Gruppe 1 liegen drei Grenzwertverletzungen vor. Die Ursachen dafür konnten nicht mehr identifiziert werden, da die Analyse auf historischen Daten basiert und der Zeitraum der Produktion zu lange zurücklag. Für zwei Gruppen wurde eine Prozessfähigkeit von größer 1,33 nachgewiesen.

Die App ist auf Nachfrage verfügbar und unterstützt Unternehmen bei der Einführung von Statistischer Prozesslenkung bei kleinen Stückzahlen. Ohne statistisches Wissen seitens des Anwenders vorauszusetzen, gruppiert die App ähnliche Merkmale zur Vergrößerung der Datenbasis. Die App ermöglicht die Anwendung von ISO 7870-8 und die Bestimmung der Prozessfähigkeit ohne großen Personalaufwand.

Bild 2. Auswertung als Report, erstellt mit der in GriPS programmierten App

Bild 1. Vorgehen zur Gruppierung ähnlicher Merkmale

DGQ Fachbeitrag FQS

Das IGF-Vorhaben 18723N der Forschungsgemeinschaft Qualität (FQS) wurde im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert.

Dietrich, E.; Schulze, A.: Statistische Verfahren zur Maschinen-und Prozessqualifikation. Carl Hanser Verlag 2014

Montgomery, D. C.: Statistical Quality Control. 7th Edition: John Wiley & Sons 2012

Wiederhold, M.; Greipel, J.; Schmitt, R.; Ottone, R.: Gemeinsam sind sie stark. Statistical Process Control bei kleinen Stückzahlen. In: Qualität und Zuverlässigkeit 3/2016

Wiederhold, M.; Greipel, J.; Ottone, R.; Schmitt, R.: Clustering of similar processes for the application of statistical process control in small batch and job production. In: Int. J. Metrol. Qual. Eng. 7 (4)/2016, S. 404, DOI: 10.1051/ijmqe/ 2016018

Wiederhold, M.: Clustering of Similar Features for the Application of Statistical Process Control in Small Batch and Job Production. Apprimus Verlag 2017 (Ergebnisse aus der Produktionstechnik)

Greipel, J.; Li, Y.; Schmitt, R. H.: Concept for Clustering of Similar Quality Features for Optimization of Processes in Low Volume Manufacturing. In: Robert H. Schmitt und Günther Schuh (Hrsg.): 7. WGP-Jahreskongress Aachen, 5.-6. Oktober 2017. Apprimus Wissenschaftsverlag, S. 363–371

Jonathan Greipel, <a href="http://M.Sc">M.Sc</a>., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Model-based Systems am Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und QM des Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen.

Alexander Hüttner, <a href="http://B.Sc">B.Sc</a>., ist wissenschaftlicher Hilfsmitarbeiter in der Abteilung Model-based Systems am Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und QM des WZL.

Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt ist Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und QM sowie Direktor am WZL und am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie.

T 0241 80-28383, <a href="mailto:j.greipel@wzl.rwth-aachen.de">j.greipel@wzl.rwth-aachen.de</a>

Eine Studie ist Gradmesser für die Zufriedenheit der Versicherten

Seit 2014 befragen die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) Versicherte, die einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt haben, nach ihrer Zufriedenheit mit der MDK-Pflegebegutachtung. Die bundesweiten Ergebnisse werden jährlich vom Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverbands (MDS) veröffentlicht. Die Versicherten bestätigen die gute Arbeit der MDK-Gutachter, weisen aber auch auf Verbesserungspotenziale hin.

Die jährliche Befragung des MDK zur Pflegebegutachtung ergab: Die Versicherten bestätigen die gute Arbeit der MDK-Gutachter, weisen aber auch auf Verbesserungspotenziale hin.

Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (PNG) trat im Oktober 2012 § 18b „Dienstleistungsorientierung im Begutachtungsverfahren“ (SGB XI) in Kraft. Gemäß Absatz 1 hatte der Spitzenverband Bund der Pflegekassen (GKV-Spitzenverband) unter Beteiligung des Medizinischen Diensts des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) und der für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthilfe der pflegebedürftigen und behinderten Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen entsprechende Richtlinien zu erlassen. Nach Absatz 2, Satz 3 (SGB XI) ist ein Ziel dieser Richtlinien „die regelhafte Durchführung von Versichertenbefragungen“ anlässlich der Prüfung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 (SGB XI) „Pflegebegutachtung“.

Die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) genehmigten Richtlinien sind nicht nur für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und die von den Pflegekassen beauftragten unabhängigen Gutachterinnen und Gutachter, sondern auch für die privaten Krankenversicherungen (PKV) verpflichtend.

Erreicht werden soll durch die Richtlinie (Die-RiLi) zum einen eine Stärkung der Dienstleistungsorientierung in der Pflegebegutachtung und zum anderen einer Verringerung der Belastung durch das sozialgesetzlich verpflichtende Begutachtungsverfahren für die Versicherten. Nach Ansicht der Gesetzgeber ist ein wesentlicher Bestandteil einer guten Dienstleistungsorientierung eine entsprechende Qualitätssicherung. Mit einer kontinuierlichen, bundesweit einheitlichen Versichertenbefragung zum Ablauf der Begutachtung sollen Verbesserungspotenziale frühzeitig identifiziert werden.

Seit dem 1. Januar 2014 sind die Medizinischen Dienste gemäß Ziffer 5 (Die-RiLi) verpflichtet, regelmäßig bei 2,5 Prozent der Versicherten, bei denen eine Pflegebegutachtung mit persönlicher Befunderhebung erfolgte, innerhalb von spätestens zwei Monaten nach dem Hausbesuch (Basis: Vorjahreswerte) eine Versichertenbefragung durchzuführen. Diese hat durch einen bundesweit einheitlichen Fragebogen anonym zu erfolgen.

Diesen Fragebogen erhalten die nach einer Zufallsstichprobe ausgewählten Versicherten mit einem erläuternden Anschreiben, bundesweit einheitlichen Ausfüllhinweisen und einer für die Versicherten kostenfreien Antwortmöglichkeit, die keine Rückschlüsse auf die Person des Versicherten zulässt. Die ausgefüllten Fragebögen gehen direkt an das auswertende Meinungsforschungsinstitut, das auch deren Auswertung und Analyse vornimmt.

Der bundesweit einheitliche Fragebogen wurde in der Vorbereitungsphase unter wissenschaftlicher Begleitung entwickelt. Die im Fragebogen verwendeten Fragen bauen im Wesentlichen auf den in Die-RiLi aufgestellten Verhaltensgrundsätzen bei der Durchführung des Begutachtungsverfahrens auf.

Der Fragebogen enthält insgesamt 19 Fragen. Bei den ersten beiden Fragen geht es darum, wer den Fragebogen ausgefüllt hat (pflegebedürftige Person, Angehörige / private Pflegeperson, gesetzlicher Betreuer) und wie zufrieden die Betroffenen insgesamt mit der Begutachtung waren (Gesamtzufriedenheit) . Bei den letzten beiden Fragen handelt es sich darum, ob das Ergebnis der Pflegebegutachtung seitens der Pflegekasse vorliegt und ob das durch die Pflegekasse mitgeteilte Ergebnis der Pflegebegutachtung nachvollziehbar ist. Abschließend haben die Befragten die Möglichkeit, Lob und Kritik in Form von frei formulierten Kommentaren abzugeben. Der Kern des Fragebogens besteht aus 15 Fragen zu den folgenden drei Kriterien, bei denen über die Abfrage der Zufriedenheit hinaus ermittelt wird, wie wichtig die einzelnen Aspekte den Versicherten sind (Wichtigkeit):

<ul><li>Informationen über die Pflegebegutachtung,</li><li>persönlicher Kontakt und</li><li>persönliches Auftreten des Gutachters.</li></ul>

Neben der Umsetzung der rein formalen Anforderungen der Die-RiLi sind einzelne Fragen so konzipiert, dass deren Antworten auch für interne Verbesserungsmaßnahmen rund um die Pflegebegutachtung genutzt werden können. Dabei geht es unter anderem um:

<ul><li>Kenntnisse über das aktuelle Zufriedenheitsniveau bei den Betroffenen, bezogen auf die wesentlichen Aspekte des Begutachtungsverfahrens,</li><li>Transparenz bezüglich der von den Versicherten wahrgenommenen Stärken und Schwächen im Begutachtungsverfahren,</li><li>Erkenntnisse als Grundlage für gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Dienstleistungsorientierung und</li><li>Informationen zum Zweck der internen Kommunikation von Versichertenzufriedenheit und Versichertenerwartungen, die Vorgehensweise des MDK betreffend.</li></ul>

Nicht alle Antragsteller sind physisch oder psychisch in der Lage, aktiv an der Befragung teilzunehmen. Um auch in diesen Fällen eine Zufriedenheitsbewertung zur Qualität der Pflegebegutachtung zu erhalten, wird auch den bei der Begutachtung anwesenden Angehörigen, Betreuern und Pflegedienstmitarbeitern die Möglichkeit gegeben, anstelle des begutachteten Versicherten an der Zufriedenheitsbefragung teilzunehmen. Da jedoch ein umfassendes Verzeichnis der postalischen Kontaktdaten der Angehörigen, Betreuer und Pflegedienstmitarbeiter, die bei der Begutachtung anwesend sind, nicht vorliegt, ist der Antragsteller in allen Fällen der Adressat der Befragung. Wichtig für die statistischen Analysen der Ergebnisse ist aber, dass es klar erkennbar sein sollte, welcher Gruppe der Antwortende zugehörig ist.

Die Fragebögen zur Zufriedenheit mit der MDK-Pflegebegutachtung werden wenige Tage nach Durchführung der Begutachtung an die Versicherten versandt. Ziel ist es, dass möglichst noch vor Bekanntgabe des Begutachtungsergebnisses bzw. vor dem Bescheid über den von der Pflegekasse erteilten Pflegegrad der Fragebogen ausgefüllt bzw. die Pflegebegutachtung des MDK bewertet wird, um sogenannte Überstrahlungseffekte des Begutachtungsergebnisses auf die Begutachtung zu verhindern.

Seit 2014 haben die 15 MDK etwa 250 000 Versicherte, die einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt haben, nach ihrer Zufriedenheit mit der MDK-Pflegebegutachtung gefragt. Über 91 000 ausgefüllte und zurückgesendete Fragebögen konnten ausgewertet werden. Die Medizinischen Dienste haben im Jahr 2018 insgesamt 52 419 Fragebögen versendet. Bis zum Stichtag im Februar 2019 wurden von diesen Fragebögen 22 114 ausgefüllt an das beauftragte Marktforschungsinstitut zurückgesandt. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 42 Prozent und zeigt die Bedeutung der Pflegebegutachtung. Auch die große Bereitschaft der Befragten, ihr Urteil abzugeben, ist damit belegt..

Am 1. Januar 2017 trat ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff in Kraft. Entsprechend wurden die Richtlinien zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit (Begutachtungs-Richtlinien) sowie die Methode zur Prüfung der Pflegebedürftigkeit angepasst. Mit dem neuen Begutachtungsinstrument (BI) als zentralem Bestandteil des gesamten Begutachtungsverfahrens wird bei den Antragstellern geprüft, ob sie gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Im Vergleich zu dem bis dato gültigen Begutachtungsverfahren wird mit dem neuen Begutachtungsinstrument der Pflegebedarf von Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen, vor allem Menschen mit Demenz, ausdrücklicher berücksichtigt. Parallel wurden die Leistungen der Pflegeversicherung angepasst und insbesondere für Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen verbessert.

Hohes Maß an Versichertenorientierung attestiert

Pflegebedürftige sowie ihre Angehörigen und gesetzlichen Betreuungspersonen sind insgesamt zufrieden mit der Pflegebegutachtung und attestieren den Medizinischen Diensten (MDK) ein hohes Maß an Versichertenorientierung. In den vergangenen fünf Jahren ist die durchschnittliche Gesamtzufriedenheit der Versicherten in den Jahren von 2014 bis 2018 leicht gestiegen (Bild 1). Damit ist es dem MDK gelungen, die Qualität seiner Dienstleistungen für die Versicherten im Begutachtungsverfahren ein wenig zu verbessern.

In allen abgefragten Einzelaspekten der Pflegebegutachtung sind mindestens 80 Prozent der Versicherten zufrieden. Einzige Ausnahme bildete die Frage nach der Zufriedenheit mit der Beratung zur Pflegesituation. Diese beantworteten die Versicherten mit etwas weniger als 80 Prozent Zufriedenheit. Besonders zufrieden sind die Versicherten dagegen mit dem ersten Eindruck des MDK und dem Ablauf vor der Pflegebegutachtung. Zwischen 90 und 95 Prozent der Versicherten sagen, dass sie mit der Terminvereinbarung und dem Anmeldeschreiben des MDK sowie mit der Freundlichkeit der Ansprechpersonen, der Pünktlichkeit und persönlichen Vorstellung der MDK-Gutachter zufrieden sind. Lediglich die Erreichbarkeit des MDK bei Rückfragen schneidet mit 81,4 Prozent zufriedenen Befragten nicht so gut ab.

Neues Pflegebegutachtungs- verfahren wirkt positiv

Die hohe Zufriedenheit der Versicherten mit der Pflegebegutachtung haben die Medizinischen Dienste zum einen durch allgemeine und gezielte Schulungen ihres Personals erreicht. Die MDK-Gutachterinnen und Gutachter sind selbst Fachkräfte, die aus der Pflege kommen, und daher grundsätzlich sensibilisiert für den Umgang mit Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Sie sind darüber hinaus auch fachlich kompetent, um den Pflegebedarf zu beurteilen und ggf. Beratung und nützliche Hinweise zu geben.

Zum anderen zeigt die Untersuchung, dass sich auch das 2017 eingeführte neue Pflegebegutachtungsverfahren positiv ausgewirkt hat. Damit können die Gutachter ihr pflegefachliches Wissen besser in die Begutachtung einbringen und auf die Bedarfe der Pflegebedürftigen gezielter eingehen. Kognitive und psychische Problemlagen können mit dem neuen Pflegebegutachtungsverfahren somit besser erfasst werden. Das kommt bei den Versicherten gut an und wirkt sich auf die Bewertung der MDK-Pflegebegutachtung positiv aus.

Kompetenz und Vertrauens- würdigkeit besonders wichtig

Aus Sicht der Versicherten sind all jene Gesichtspunkte der MDK-Pflegebegutachtung besonders wichtig, die mit dem Ablauf der Pflegebegutachtung und dem persönlichen Auftreten und Verhalten der Gutachter zu tun haben, vor allem:

<ul><li> Kompetenz,</li><li>Vertrauenswürdigkeit</li><li>Eingehen auf die individuelle Pflegesituation,</li><li>genügend Zeit und</li><li>eine verständliche Ausdrucksweise.</li></ul>

Insofern hat die Zufriedenheit mit diesen Aspekten für die MDK eine besondere Relevanz. Die Mehrheit der Versicherten ist mit diesen Aspekten zufrieden. Bei den für die Versicherten wichtigsten Aspekten lag der Anteil der zufriedenen Versicherten 2018 zwischen 83 und 91,5 Prozent.

Versicherte wünschen sich  mehr Beratung

Aus Sicht der Versicherten gibt es auch Optimierungspotenzial bei der MDK-Pflegebegutachtung. So wünschen sich die Versicherten, dass die MDK-Gutachter noch stärker auf ihre individuelle Pflegesituation eingehen (83 Prozent waren 2018 damit zufrieden) und sie dazu intensiver beraten sollen (78 Prozent waren 2018 damit zufrieden). Auch möchten sie, dass der MDK stärker auf die Unterlagen eingeht, die sie für die Begutachtung zusammengestellt haben. Da in vielen Fällen nicht alle Unterlagen für die Begutachtung relevant sind, arbeiten die Medizinischen Dienste daran, noch besser über die bereitzustellenden Unterlagen zu informieren.

Bei dem Wunsch nach mehr Beratung zur Pflegesituation der Versicherten kommt der MDK jedoch an seine Grenzen, da dies nicht seine Kernaufgabe ist. Die Pflegeberatung liegt vor allem in den Händen der Pflegekassen und der Pflegestützpunkte in den Kommunen.

Dass die Medizinischen Dienste seit 2014 regelmäßige Versichertenbefragungen durchführen, bietet die Möglichkeit, wertvolle Erkenntnisse über die aufseiten der Versicherten erlebte Dienstleistungsorientierung der MDK-Gutachterinnen und MDK-Gutachter zu bekommen. So kann der MDK seine Schulungsmaßnahmen und die Durchführung der Pflegebegutachtung im Sinne der kontinuierlichen Qualitätsverbesserung optimieren.

Die Ergebnisse der Versichertenbefragungen zur Pflegebegutachtung im Zeitraum von 2014 bis 2018 zeigen, dass die in der Dienstleistungs-Richtlinie (Die-RiLi) erklärten Ziele sukzessive erreicht werden konnten:

<ul><li> Die Dienstleistungsorientierung des MDK für die Versicherten im Begutachtungsverfahren zu stärken,</li><li> die Belastung für die Versicherten und ihre Angehörigen zu minimieren sowie</li><li>die Servicefreundlichkeit im Begutachtungsverfahren zu erhöhen.</li></ul>

Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse aber auch eine grundsätzlich hohe Zufriedenheit der Befragten mit der Tätigkeit der MDK-Gutachter hinsichtlich

<ul><li>der strukturellen Faktoren,</li><li>der Vorbereitung und des Ablaufs der Pflegebegutachtung,</li><li>der wahrgenommenen Sensibilität,</li><li> der Kompetenz und</li><li>des persönlichen Auftretens der Gutachter.</li></ul>

Zudem scheint es, dass mit der Durchführung der Pflegebegutachtung anhand des neuen Begutachtungsinstruments der Begutachtungsprozess für Laien nachvollziehbarer wird, insbesondere im Hinblick auf den wichtigen Aspekt Eingehen auf die individuelle Pflegesituation. Dies belegt die Entwicklung der Anzahl kritischer Kommentare zur Frage „Wie zufrieden sind Sie mit dem Eingehen auf die individuelle Pflegesituation durch den MDK?“, die zwischen 2014 und 2018 deutlich zurückgegangen istw. Auch bei der Nachvollziehbarkeit des Ergebnisses der Pflegebegutachtung zeigen sich positive Effekte.

Die Versichertenbefragung zur Pflegebegutachtung hat somit einen unmittelbaren Nutzen für das Qualitätsmanagement der Medizinischen Dienste und ist eine sinnvolle Ergänzung der umfassenden Qualitätssicherungsmaßnahmen der Pflegebegutachtung.

Bild 1. Die Zufriedenheit der Versicherten mit der Begutachtung nimmt über die Jahre zu.

Studie Pflegebegutachtung

Dipl.-Oec. Frank Opitz ist Seniorberater der M+M Management + Marketing Consulting GmbH, Kassel.

T 0561 70979-17, <a href="mailto:opitz@m-plus-m.de">opitz@m-plus-m.de</a>

QM im Gesundheits- / Sozialwesen

Beratung und Consulting

Innovation und Qualität - ein Spannungsfeld

Warum Innovation plus Qualität die Erfolgsformel für die Zukunft ist

Die intensive Zusammenarbeit von Innovations- und Qualitätsfunktion im Unternehmen hat großen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg. Dennoch besteht noch immer erheblicher Handlungsbedarf beim Thema „IQ“ , um die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen nachhaltig zu sichern. Dies belegt eine Studie, die am CMI der Hochschule Esslingen zusammen mit dem VDAM durchgeführt wurde.

Die Zusammenarbeit von Innovations- und Qualitätsfunktion hat großen Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens. Laut einer Studie des VDAM besteht Handlungsbedarf beim Thema „IQ“.

Innovation und Qualität (IQ) besitzen in rund drei Viertel der befragten Unternehmen einen hohen Stellenwert. Aber nur etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen hat den Innovationsbegriff einheitlich definiert. Beim Qualitätsbegriff sieht es besser aus: Hier geben 80 Prozent der Befragten an, eine unternehmenseinheitliche Begriffsdefinition zu haben. Entsprechend ausgeprägt ist auch das Verständnis von Innovation und Qualität: In nur 47 Prozent der Unternehmen besteht ein einheitliches Qualitäts- und in lediglich 33 Prozent der Unternehmen ein einheitliches Innovationsverständnis (Bild 1).

Als Hauptgründe für das mangelhafte IQ-Verständnis nennen die Befragten eine unklare oder fehlende Begriffsdefinition, unzureichende Kommunikation und falsches Führungsverhalten. Diese drei Mängel erstaunen, denn sie lassen sich durch entsprechende Maßnahmen mit einem hohen Nutzen für das betreffende Unternehmen beseitigen.

Handlungsbedarf bei  Führungsverhalten und IQ-Kultur

Das Führungsverhalten weist hinsichtlich IQ erhebliche Defizite auf: So nehmen in einem Drittel der Unternehmen die Qualitätsmanager und in über der Hälfte der Unternehmen die Innovationsmanager ihre themenbezogene Verantwortung nicht oder nur teilweise wahr. Somit ist es kaum verwunderlich, dass es in vielen Unternehmen auch an dem nötigen IQ-Bewusstsein fehlt. In nur 45 Prozent der Unternehmen besteht ein einheitliches Qualitäts- und in lediglich 24 Prozent ein einheitliches Innovationsbewusstsein (Bild 2). Damit ist die Voraussetzung für mentale Misfits zwischen Innovation und Qualität sowie für ineffiziente Prozesse geschaffen – genau das, was eigentlich niemand will!

Neben dem IQ-Bewusstsein besteht auch hinsichtlich der Fehlerkultur und der Förderung neuer Ideen noch ein deutlicher Handlungsbedarf. So werden in etwa der Hälfte der Unternehmen Fehler nicht oder nur teilweise als Lernchance wahrgenommen und Mitarbeiter nicht zur Umsetzung eigener Ideen ermutigt. Außerdem sehen die Befragten in 43 Prozent der Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Werte, Normen und Verhaltensweisen teilweise noch erhebliche kulturelle Barrieren zwischen der Innovations- und der Qualitätsfunktion.

Strategische Lücken  verringern den IQ-Erfolg

Als wichtigste Maßnahme zur Verbesserung des gegenseitigen IQ-Verständnisses nennen die Befragten die Förderung eines regelmäßigen Austauschs. Als weitere Maßnahmen werden die frühzeitige Einbindung der Qualitätsfunktion in den Innovationsprozess und die effizientere Gestaltung von Strukturen und Prozessen gesehen.

Zwar haben 65 Prozent der untersuchten Unternehmen eine Qualitäts- und 45 Prozent eine Innovationsstrategie verabschiedet und kommuniziert, aber deutlich weniger als die Hälfte setzt ihre Strategien auch konsequent um. Vor allem im Innovationsbereich besteht hier eine deutliche strategische Lücke, die darin besteht, dass viele Unternehmen ihre strategischen Maßnahmen nicht konsequent genug realisieren und hinsichtlich deren Zielerreichung verfolgen. Insbesondere die zukunftsgerichtete Innovationsfunktion vernachlässigt offenbar die strategischen Erfordernisse (Bild 3).

Hinzu kommt, dass in rund einem Drittel der Unternehmen die Innovations- und die Qualitätsstrategie unabhängige Teilstrategien sind, die nicht aufeinander abgestimmt werden. Nur zwei Prozent der Unternehmen integrieren dagegen beide Strategien in einer übergreifenden IQ-Strategie. Angesichts der Bedeutung und der wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten wären hier deutlich höhere Werte wünschenswert, um die beiden Top-Erfolgsfaktoren auch langfristig aufeinander abzustimmen.

Kommunikationsdefizite  an den IQ-Schnittstellen

Obwohl Innovation und Qualität grundsätzlich Querschnittsfunktionen mit klar geregelten Prozessen sein sollten, erfüllt nur die Qualitätsfunktion in 80 Prozent der Unternehmen diese Anforderung weitgehend. Hingegen trifft dies bei der Innovationsfunktion nur in 51 Prozent der Fälle zu. In 70 Prozent der Unternehmen sind die Schnittstellen zwischen der Innovations- und der Qualitätsfunktion nicht oder nur teilweise geregelt. Dementsprechend ist die Zusammenarbeit zwischen den beiden Funktionen nur in 38 Prozent der Unternehmen immer konstruktiv. Hier könnten klarere Regelungen der Abläufe und Verantwortlichkeiten zu einer höheren Prozesseffizienz beitragen.

Im Innovationsprozess wird die Qualitätsfunktion in den frühen Phasen (Ideenfindung/-auswahl und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung) in nur etwas mehr als einem Drittel der Unternehmen verantwortlich mit einbezogen. Meistens kommt das Qualitätsmanagement in den Phasen Entwicklung (64 Prozent) und Test und Bewertung (82 Prozent) hinzu (Bild 4). Vor allem die Qualitätsverantwortlichen wünschen sich jedoch eine engere und auch frühere Verzahnung dieser beiden Funktionen sowie eine gezielte Förderung der Zusammenarbeit. Hierzu kann aus der Sicht der Befragten auch eine klare und einheitliche Definition der IQ-Prozesse beitragen.

Die größten Herausforderungen für die IQ-Funktionen liegen nach Aussagen der Befragten in einer weiter zunehmenden Entwicklungsgeschwindigkeit der Neuprodukte. Auch die Veränderung der Märkte durch neue Technologien und Kundenbedürfnisse setzen die Innovations- und Qualitätsbereiche deutscher Unternehmen unter Druck. Interne Herausforderungen werden vor allem auf organisationaler und kultureller Ebene gesehen.

Damit gibt es in Sachen IQ in deutschen Unternehmen noch viel zu tun. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in den USA („America first“) und in China (Strategie „China 2025“) besteht hier offenkundig ein ebenso dringender wie zwingender Handlungsbedarf, wenn unsere Unternehmen weltweit Spitze bleiben wollen. Unternehmen, die dies bereits erkannt und umgesetzt haben, weisen nach der CMI-Studie eine höhere Performance hinsichtlich Gewinn-, Umsatz- und Marktanteilsentwicklung auf.

Bild 1. Stellenwert und Verständnis von IQ

Bild 4. Einbindung der Qualitätsfunktion in Phasen des Innovationsprozesses

Innovation un Qualität_Vahs

Befragt wurden 2019 bundesweit 232 Führungskräfte. Studienleitung durch Institut für Change Management und Innovation (CMI) in Kooperation mit dem Verband Deutscher Maschinen‐ und Anlagenbau e.V. (VDMA), der Deutschen Gesellschaft für Qualität e.V. (DGQ) und der Development Group GmbH (DMG).

Vahs, D.; Dunst, M.; Gattari, C.: Feindliche Brüder oder Traumpaar? QZ 1/2019, S. 40-43

Prof. Dr. Dietmar Vahs ist Direktor des Instituts für Change Management und Innovation (CMI) der Hochschule Esslingen und Managing Partner der Quality Awareness Experts.

Michael Dunst M. Sc. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Change Mangemangement und Innovation (CMI), sowie Doktorand der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg Erlangen (FAU)

Claudio Gattari M. A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Change Mangemangement und Innovation (CMI).

<a href="mailto:dvahs@qa-experts.de">dvahs@qa-experts.de</a>, <a href="http://www.qa-experts.de">www.qa-experts.de</a>

Innovationsmanagement

Produktentwicklung (F+E)

 Umweltmanagement und Klimawandel im Fokus

Jüngste Entwicklungen aus dem Technischen Komitee ISO/TC 207

Vom 3. bis 7. Juni 2019 reisten über 300 Delegierte, Experten, Vertreter von Liaison-Organisationen und Beobachter aus rund 35 Ländern zur Jahresveranstaltung des ISO/TC 207 nach Berlin. Erstmalig richtete Deutschland die Plenarsitzung dieses Technischen Komitees aus. Bearbeitet wurden Umweltnormen und aktuelle Themen wie Klimawandel, Klimafußabdruck, Kreislaufwirtschaft oder Ökobilanzierung.

2019 richtete Deutschland erstmalig die Plenarsitzung der Jahresveranstaltung des ISO/TC 207 in Berlin aus. Bearbeitet wurden Umweltnormen und weitere Themen zu Klima und Umwelt.

Die deutsche Delegation trat mit über zwanzig Personen an, um die nationalen Interessen in den Sitzungen der Unterausschüsse (SC) und Arbeitsgruppen (WG) zu vertreten. Die Auftaktveranstaltung am Beginn der Sitzungswoche fand im Bundesumweltministerium unter der Schirmherrschaft von Ministerin Svenja Schulze und mit Beteiligung der Normungsexperten statt.

Zur Vorbereitung auf die für 2020 erwartete Revision der ISO 14001 traf sich eine Arbeitsgruppe, um zukünftige Herausforderungen (future challenges) zu diskutieren. Es wird kein dringender Bedarf für umfangreiche inhaltliche Änderungen gesehen, obgleich einige der bereits für die letzte Revision bearbeiteten Themen weiterhin aktuell sind. Der Fokus liegt vorwiegend auf der Positionierung von ISO 14001 zu internationalen politischen Agenden, der Herausstellung des Nutzens von Umweltmanagementsystemen sowie der Berücksichtigung von neuen Technologien und Geschäftsmodellen. Zur Vorbereitung der Novellierung der ISO 14001 im Jahr 2021 werden weitere Abstimmungsrunden unter deutscher Leitung erfolgen.

Die Normenfamilie ISO 14000 soll künftig um die ISO 14002 ergänzt werden. Diese Norm wird aus verschiedenen Teilen bestehen und Organisationen aller Art und Größe Hilfestellungen an die Hand geben, wie sie im Rahmen ihres Umweltmanagementsystems Maßnahmen treffen können, um konkrete Umweltaspekte zu managen oder auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren. Teil 1 der ISO 14002 vermittelt allgemeine Leitlinien und bildet gleichzeitig die Grundstruktur für die nachfolgenden Teilnormen. Diese werden detaillierte Informationen zum Management von Umweltaspekten und -bedingungen innerhalb bestimmter Umweltthemengebiete enthalten.

Unter Leitung von Christoph Töpfer (Umweltbundesamt) und mit Unterstützung durch ein DIN-geführtes Sekretariat bearbeitete die Arbeitsgruppe (SC1/WG11) alle eingegangenen Kommentare zum Vollentwurf (DIS). Es ist das Ziel, den ersten Teil der ISO 14002 spätestens zu Beginn des nächsten Jahres zu veröffentlichen. Darüber hinaus diskutierte die Arbeitsgruppe den Entwurf eines Normungsantrags für den zweiten Teil der ISO 14002 zum Umweltthemengebiet Wasser. Hierzu fand ein gemeinsamer Workshop mit Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt statt, in dessen Rahmen sich 30 Experten für Umwelt- und Wassermanagement aus 14 Ländern über Nutzen, Anwendungsbereich und inhaltliche Eckpunkte austauschten. Voraussichtlich werden die Arbeiten am Teil 2 der Norm im Herbst 2019 beginnen.

Die Revision der ISO 14005, einer Anleitung für die Einführung eines Umweltmanagementsystems in mehreren Phasen, ist abgeschlossen und wurde im Mai 2019 veröffentlicht. Die europäische Normungsorganisation CEN hat der Hinzufügung eines europäischen Anhangs zur EN ISO 14005 zugestimmt, der die zusätzlichen Anforderungen enthält, die sich aus der EMAS-Verordnung (Regulation EC 1221/2009) gegenüber der ISO 14001:2015 ergeben. Die revidierte Norm legt den Fokus auf den eigentlichen Implementierungsprozess für das Umweltmanagementsystem (UMS). Dabei wird von Projekten ausgegangen, die Schritt für Schritt die Elemente eines UMS implementieren und zusammen mit einem wachsenden Reifegrad zur vollständigen Umsetzung der Anforderungen von ISO 14001 bzw. EMAS führen. Das wesentliche Hilfsmittel dabei ist eine Reifegrad-Matrix, mit der die Organisation ihren Status in Bezug auf die einzelnen Elemente von ISO 14001 bestimmt.

Im März 2019 erschien ISO 14008 „Monetäre Bewertung von Umweltauswirkungen und damit verbundenen Umweltaspekten – Prinzipien, Anforderungen und Leitlinien“. Diese enthält Empfehlungen dazu, wie Umweltauswirkungen in Geldeinheiten bewertet werden können und welche Informationen für diese Bewertungen festgehalten werden sollten.

SC2 – Umweltaudit und verwandte Untersuchungsmethoden

Der Leitfaden zur Auditierung von Managementsystemen EN ISO 19011:2018-10 wurde im Oktober 2018 veröffentlicht.

Das SC3 ist verantwortlich für Normen der 14020er-Reihe zur Umweltkennzeichnung und -deklaration. Kürzlich wurde ein strategischer Arbeitsplan zur grundlegenden Überarbeitung der Normen ISO 14020 (Grundsätze), ISO 14021 (Anbietererklärungen), ISO 14024 (Umweltkennzeichen), ISO 14025 (Umweltdeklarationen), ISO 14026 (Fußabdruckinformationen) und ISO/TS 14027 (Produktkategorieregeln) verabschiedet. Dabei soll die Normenreihe grundlegend umstrukturiert und zudem Inkonsistenzen beseitigt werden. Die verschiedenen Umweltzeichen und -deklarationen werden umfangreich eingesetzt. Über 12 000 Produkte und Dienstleistungen von rund 1500 Unternehmen sind mit dem Blauen Engel ausgezeichnet, der auf ISO 14024 basiert. Rund 6000 Umweltdeklarationen gehen derzeit in Europa auf ISO 14025 bzw. die bausektorspezifische EN 15804 zurück. Beide ISO-Normen sind langjährig etabliert und durch die hohe Glaubwürdigkeit dieser Zeichen und Deklarationen erfolgreich. Dies liegt auch an der verpflichtenden Konformitätsbeurteilung durch unabhängige Dritte.

Des Weiteren hat das SC3 aufgrund einer deutschen Initiative entschieden, in ISO 14021 den Abschnitt zu Anbietererklärungen in Bezug auf Treibhausgasemissionen an ISO 14067 „Carbon Footprint von Produkten – Anforderungen an und Leitlinien für Quantifizierung“ anzupassen. Zudem wird sich das SC3 mit gegenwärtigen Methoden zur elektronischen Kennzeichnung beschäftigen und an einer Kommunikations- und Werbestrategie für die Normen der ISO 14020er-Reihe arbeiten.

Das SC5 bearbeitet alle Basisnormen, die eine Lebenszyklusperspektive einnehmen und sich mit verschiedenen Aspekten der Ökobilanzierung befassen. 2018 wurde entschieden, die Ausarbeitung einer normativen Änderung zu ISO 14040:2006 „Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen“ zu beginnen. Die Ausrichtung der ISO 14040 bleibt dabei unverändert; ein zweiter Anhang für ISO 14044 „Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen“ wird entwickelt sowie ein Anhang zu ISO 14044 erarbeitet, der sich mit Allokationsverfahren befasst.

Nach Bestätigung des Normantrags zu den Themenfeldern Allokationsverfahren sowie Wichtung und Interpretation bei LCA wurde mit der Erarbeitung einer technischen Spezifikation mit dem Titel ISO/TS 14074 „Lifecycle assessment – Principles, requirements and guidelines for weighting and interpretation“ begonnen.

Die grundlegende Revision der ISO 14064 „Treibhausgasbilanzierung und Verifizierung“ konnte im Zeitraum 2018–2019 abgeschlossen werden. Der die ISO 14064-3 ergänzende Standard ISO 14065 „Environmental information – Requirements for bodies validating and verifying environmental information“ befindet sich derzeit in der Umfrage zum dritten Komiteeentwurf (CD3). Zum ebenfalls zu revidierenden Technischen Bericht ISO/TR 14069 „Quantification and reporting of greenhouse gas emissions for organizations – Guidance for the application of ISO 14064–1“ wurden Kommentare bearbeitet.