Das umstrittene Lieferkettengesetz sollte noch vor Weihnachten 2020 verabschiedet werden, doch die Politik konnte sich auf den vorliegenden Gesetzesentwurf nicht einigen. Auf die Bremse getreten ist allen voran Bundeswirtschaftsminister Altmaier, der noch am 17. Dezember erklärte: „Wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass wir Menschenrechte besser schützen wollen – egal wo auf der Welt. (...) Für mich ist wichtig, klare und praktikable Sorgfaltspflichten zu verankern, die insbesondere von größeren Unternehmen zu beachten sind. Mittelständische Unternehmen sollen davon ausgenommen sein.“ Vordergründig geht es also um den Schutz des Mittelstands, der als Rückgrat der deutschen Wirtschaft gilt.

 Doch es gibt noch andere Streitpunkte, die kaum weniger wichtig sind. Etwa der Umweltschutz oder die Haftungsfragen. Als ein grundsätzliches Problem wird von Seiten der Wirtschaft die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt vorgebracht. Und in der Tat ist Deutschland im internationalen Vergleich ein Vorreiter mit der Idee, die gesamte Lieferkette in die Pflicht nehmen zu wollen. Doch genau diese Vorreiterrolle sollten deutsche Unternehmen nutzen, um sich einen globalen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen – meint Andreas Radke (Seite 12).

Thomas Funck [<a href="mailto:thomas.funck@hanser.de">thomas.funck@hanser.de</a>]

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Editorial Funck

Die Corona-Krise verschärft das Risiko globaler Lieferketten weiter

Seit Jahrzehnten sind Problematiken wie Kinderarbeit, Ausbeutung oder Umweltverschmutzung breit diskutierte Themen, sowohl auf Seiten der Verbraucher als auch globaler Unternehmen. Während die Kritik an ökologischen, sozialen und ökonomischen Ungleichheiten immer weiter zunimmt, setzen Unternehmen nachhaltige Lieferketten in ferner Zukunft an. Dabei könnten sich Unternehmen schon heute vorteilhaft positionieren, wenn sie ihre Lieferketten im Sinne des geplanten Gesetzes organisieren würden.

Seit Jahrzehnten sind Problematiken wie Kinderarbeit, Ausbeutung oder Umweltverschmutzung breit diskutierte Themen, sowohl auf Seiten der Verbraucher als auch globaler Unternehmen.

Über Monate wurde in Europa und vielen Nationen der Welt ein Lockdown verhängt. Die Corona-Pandemie brachte große Unsicherheiten für Gesellschaft und Wirtschaft. Ein Virus stellte Unternehmen vor komplexe Herausforderungen. Diese Krise wird noch über Jahre nachwirken und auch künftig wirtschaftliche Probleme bereiten. Mit zunehmendem Druck auf die Lieferketten der Unternehmen wächst die Gefahr, dass irrationale Maßnahmen ergriffen werden.

Je länger dieser Druck anhält, desto häufiger werden Entscheidungsträger in Unternehmen auf kurzfristige Lösungsansätze zurückgreifen – mit negativen Folgen für Mensch und Umwelt. Die Überlegungen und Forderungen nach gesetzlicher Regelung gewinnen daher immer mehr Zustimmung. Politik und Wirtschaft arbeiten an Rahmenbedingungen für nachhaltige Praktiken, aber auch an Sanktionen, um Verstöße einheitlich und auf Gesetzesgrundlage zu ahnden.

Paradoxerweise konnte man in der Krise teils fragwürdige Praktiken beobachten, die ursprünglich dem Allgemeinwohl dienen und der Ausbreitung von Covid-19 Einhalt gebieten sollten. Die taiwanesische Regierung beispielsweise wurde weithin für ihren sehr erfolgreichen Einsatz von Big-Data-Analysen zur Verfolgung von Infektionsketten gelobt. Um besonders sogenannte importierte Fälle zu identifizieren und Neuinfektionen zu verhindern, wurden aber die Datenbanken von Versicherungen und der Einwanderungsbehörde miteinander verknüpft. Im Rahmen der EU-DSGVO, für das es in Taiwan keine entsprechende Gesetzgebung gibt, wäre dies nicht möglich. Die bereits erworbenen Daten wurden zweckentfremdet und ohne vorherige Zustimmung oder Information der Nutzer anderweitig eingesetzt und wiederverwendet.

Befürworter eines in Deutschland geltenden Lieferkettengesetzes wollen ähnliche Fälle in den Lieferketten deutscher Unternehmen verhindern. Doch während sich Politiker noch uneins sind, wie und wann eine rechtliche Bestimmung wirksam wäre, haben Unternehmen Zeit, entsprechende Vorkehrungen zu treffen.

Sollten Unternehmen besser  vorausschauend proaktiv handeln?

Wer schnell auf Änderungen reagiert, kann sich einen Wettbewerbsvorteil sichern – zumindest so lange, bis die Mitstreiter nachziehen. In der Vergangenheit konnten Regulierungsbehörden sogar Anreize schaffen, die sich im Laufe der Zeit als sinnvoll erwiesen. Beispiele sind die Abschaffung von Blei in Benzin, der Drei-Wege-Katalysator oder Vorschriften für niedrigere Grenzwerte in Abgasen. Jede dieser Forderungen galt ursprünglich als Ende der deutschen Automobilindustrie. Doch die deutlich umweltfreundlicheren Fahrzeuge wurden von Autokäufern bereitwillig angenommen. Der Niedergang der großen amerikanischen Automobilhersteller ist teilweise auf ihre Unfähigkeit zurückzuführen, auf dem europäischen Markt zu konkurrieren. Die gescheiterte Fusion von Daimler und Chrysler belegt dies: Die wettbewerbsfähigsten Modelle von Chrysler waren aufgrund des übermäßigen Kraftstoffverbrauchs in Europa schlicht nicht konkurrenzfähig.

Doch wie schnell können Unternehmen überhaupt reagieren? Hauptproblem eines möglichen Lieferkettengesetzes ist ein kurzsichtiger, lokaler Ansatz. Das Gesetz soll vorerst nur in Deutschland Anwendung finden und steht mit seinen strikten Nachhaltigkeitsaspekten im krassen Kontrast zur aktuellen Realität globaler Lieferketten. Einige Wirtschaftsvertreter sehen die Gefahr, dass sich ein Lieferkettengesetz zur Nachhaltigkeit als Wettbewerbshindernis für die deutsche Industrie erweist. Tatsache ist, dass ein EU-weiter Ansatz unvollständig ist. Einige der häufig zitierten Befürworter eines Lieferkettengesetzes haben ihren Hauptsitz in der Schweiz – nicht in der EU.

Kinderarbeit wird im geplanten Gesetzentwurf  nicht berücksichtigt

Zahlreiche Studien kamen in den letzten Jahren zu dem Ergebnis, dass Kinderarbeit zwar ein beklagenswertes Phänomen sei, dieses aber mit zunehmender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung überwunden werden könne. Entwicklungsländer aus Lieferketten komplett auszuschließen, um potenzielle Kinderarbeit zu umgehen, habe weitaus gravierendere Auswirkungen, als diese kurzfristig zu akzeptieren.

So gab ein europäischer Möbelhersteller zu, dass es bei einigen seiner Lieferanten durchaus zu Kinderarbeit gekommen sei. Allerdings hätte das bloße Ausschließen dieser für die betroffenen Kinder und ihre Familien schlimmere Formen der Ausbeutung gehabt. Deshalb hätte man in diesem Fall Kinderarbeit akzeptiert und bewusst Anstrengungen unternommen, die Familien zu emanzipieren, etwa indem ihre Arbeitszeiten begrenzt wurden und die Betriebszugehörigkeit an Schulbildung der Kinder geknüpft wurde. Bemühungen in diese Richtung seien notwendig, um nachteilige Auswirkungen im Laufe der Zeit zu verringern.

Damit die gewünschten Veränderungen in Lieferketten erzielt werden können, müssen also nicht nur Richtlinien definiert werden – es braucht auch einen fokussierten Ansatz für Entwicklungshilfe, etwa für Schulbildung und langfristige wirtschaftliche Entwicklung. So kann sich ein Ausweg aus der Armut eröffnen, die Arbeits- und Lebensbedingungen können sich verbessern. Studien über brasilianische Favelas haben bestätigt, dass Schul-, Aus- und Weiterbildung direkt mit dem wirtschaftlichem Aufbau verzahnt werden muss. So waren die Bildungsziele für Favela-Bewohner in den 1960er-Jahren erfolglos bis ein funktionierender öffentlicher Personennahverkehr aufgebaut wurde, der das Pendeln zu den Arbeitsplätzen ermöglichte.

Was können Unternehmen  schon heute tun?

Während die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ein Lieferkettengesetz diskutiert und langsam etabliert werden, können Unternehmen schon jetzt Anpassungen ihrer Lieferketten vornehmen:

<ul><li>Lieferantenaudits sollten einen eigenen Abschnitt zur Einhaltung zu erwartender Vorschriften für Kinderarbeit und Umweltverschmutzung erhalten, und in naher Zukunft angesetzt werden. Partner und Lieferanten sollten frühestmöglich involviert werden, um Erwartungen zu klären und gemeinsam Maßnahmen zur Einhaltung der Richtlinien ergreifen zu können. So können mit wenig Aufwand für das abnehmende Unternehmen Standards gesichert und kostspielige Lieferantenwechsel verhindert werden.</li><li>Im Zuge nachhaltiger Bestrebungen eines Unternehmens können flankierende Werbekampagnen darauf hinweisen. Was noch nicht gängige Praxis ist, hebt vom Wettbewerb ab. Vor allem nachhaltige und humanitäre Ambitionen sowie die Unterstützung der Lieferanten zahlen positiv auf das Unternehmensimage ein.</li><li> Operative Vorbereitungen sollten getroffen werden, falls ein Teil der Lieferkette nicht konform arbeitet. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes werden vor allem Kunden erwarten, dass nicht-konforme Lieferanten entlassen werden. Planungs- sowie Ausführungssysteme müssen dann bereit sein, diesen Wandel zu bewältigen und abzufangen. Diese Systeme jetzt zu etablieren hat Vorteile, da diese auch bei anderen Lieferkettenunterbrechungen Visibilität schaffen und Agilität ermöglichen.</li></ul>

Fazit: Ein Lieferkettengesetz zur Einhaltung nachhaltiger und humanitärer Aspekte steht seit Jahren als Forderung im Raum. Mit der Corona-Krise werden die Probleme globaler Lieferketten deutlich sichtbar. Sicher sind zum Einhalten nachhaltiger Reglementierungen organisatorische Änderungen notwendig, die hohe Investitionen erfordern. Dennoch kann dies als Chance gesehen werden, wenn unternehmerische Initiativen jetzt starten und gemeinsam mit Partnern und Lieferanten die erforderlichen Schritte unternommen werden. Wer schon jetzt reagiert, kann die anstehenden Veränderungen zu seinem Vorteil nutzen.

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Lieferketten_Radke

Andreas M. Radke ist Executive Consultant bei der mSE Solutions GmbH im Büro Chicago. Themenschwerpunkt ist die Digitalisierung des End-to-End-Lieferkettenmanagements durch Abstimmung der Geschäftsprozesse, Datenintegration und IT Systeme. Er hat langjährige Erfahrung in der Elektronikproduktion, Medizintechnik und Pharma,  sowie im Maschinenbau.

<a href="mailto:aradke@mse-solutions.com">aradke@mse-solutions.com</a>

Supply Chain Management

Logistik

Kunden-Lieferanten-Verhältnis

Qualitätsmanagement

Recht allgemein / sonst.

Lieferantenmanagement

Produktion

 Ob Jobwechsel, Jahresgespräche oder eine neue Aufgabe im Unternehmen – das alles sind Zeitpunkte, die für eine Gehaltsverhandlung genutzt werden können. Neben den normalen Herausforderungen, die eine Gehaltsverhandlung mit sich bringt, gilt es in Zeiten von Covid-19 die Gegebenheiten digitaler Verhandlungen richtig einzuschätzen.

Wie spreche ich eine Gehaltserhöhung an? Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Gehaltsverhandlung? Was möchte ich als Ergebnis erreicht haben? Und wie schaffe ich es, meine Gehaltsvorstellung erfolgreich durchzusetzen? Das alles sind Fragen, denen man sich im Vorfeld stellen sollte und nicht erst in oder nach der Verhandlung.

Ob Dienstleistung oder Beratung,  Covid-19 hat über verschiedene Branchen hinweg das Arbeiten in den digitalen Raum verlagert und somit auch für Gehaltsverhandlungen neue Rahmenbedingungen geschaffen. Das bringt neue Hürden mit sich: Die räumliche Distanz und die beschränkte Wahrnehmung bei Videokonferenzen erschweren den Vertrauensaufbau und die Einschätzung des Gegenübers.

Ein entscheidender Punkt, der trotz neuer Hürden unverändert bleibt, ist eine gute und strukturierte Vorbereitung. Denn auch wenn Sie nicht physisch mit ihrem Verhandlungspartner in einem Raum sitzen können, gibt es bestimmte Aspekte, die Sie in ihrer Vorbereitung beachten können und Mechanismen, die auch bei einer Gehaltsverhandlung im Online-Format den Erfolg unterstützen.

Und wie in der realen Verhandlung gilt die Regel: Unvorbereitet sein ist auch eine Vorbereitung – die Vorbereitung zur Niederlage!

Zur Vorbereitung von Verhandlungen generell und einer Gehaltsverhandlung speziell, sollte auch das ausführliche Profiling des Gegenübers gehören. Denn jeder Chef und jede Chefin hat eine eigene Persönlichkeit, die es zu verstehen gilt. So wird eine Gehaltsverhandlung nicht auf der reinen Sachebene entschieden, sondern zwischen Menschen, deren Persönlichkeit maßgebenden Einfluss nimmt. Stellen Sie sich also die Frage, welche Persönlichkeit Ihr Vorgesetzter oder Ihre Vorgesetzte hat?

So gibt es Chefs und Chefinnen, die besonders detailorientiert sind und ihre Arbeitsweise vor allem nach Zahlen, Daten und Fakten ausrichten. Diese Personen haben eine gewissenhafte oder auch wachsame Persönlichkeit. Dann gibt es Vorgesetzte, die gerne von sich erzählen und das Rampenlicht genießen. Diese gehören zum Typ der selbstbezogenen Persönlichkeit.

Den dominierenden Charaktereigenschaften muss während einer Gehaltsverhandlung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Denn Sie werden einen gewissenhaften oder wachsamen Chef oder eine wachsame Chefin mit einer Vision ohne strukturierten und detaillierten Projektplan eher weniger beeindrucken.

Anders herum kommen Sie bei einem eher selbstbezogenen Chef oder bei einer eher selbstbezogenen Chefin besser durch, wenn Sie die künftige Bedeutung der Ziele mit der Betrachtung durch andere Bereiche oder Personen verknüpfen. Welche Bedeutung hat dies für den Zuständigkeitsbereich ihres Vorgesetzten? Wie wird er oder sie dabei gesehen?

Unabhängig zu der Beziehung, die Sie zu ihrem Chef oder ihrer Chefin pflegen, sollten Sie vor allem auch sich selbst gut kennen. Sich der eigenen Schwächen bewusst zu sein, um nicht zu deren Opfer zu werden, ist dabei besonders wichtig.

Für Menschen mit einer starken Personenorientierung und einem sehr ausgeprägten Harmoniebedürfnis ist eine Gehaltsverhandlung oftmals mit enormem Stress verbunden. Ihnen ist die Beziehung zu einem Menschen so wichtig, dass sie alles daransetzen, diese intakt zu halten.

Eine Verhandlung ist allerdings von der Definition her ein Konflikt, da mindestens zwei Personen an einem Thema unterschiedliche Interessen und Forderungen haben. Eine personenbezogene Persönlichkeit wird versuchen, dies schnellstmöglich in Einklang mit dem eigenen Bedürfnis nach Harmonie zu bringen und hierbei bei den eigenen Forderungen zu schnell nachgeben.

In der Vorbereitung sollten Sie sich klar machen, was Sie erreichen wollen und wie die Alternativen aussehen können. Die eigene Gehaltsvorstellung sollte konkret formuliert werden und selbstverständlich im Bezug zur Realität stehen. In welchem Rahmen sich die eigene Forderung bewegt, hängt von der jeweiligen Branche ab. Dennoch liegt eine Lohnerhöhung von fünf bis zehn Prozent in einem Rhythmus von zwei Jahren im Normalbereich.

Zusätzlich zu den Forderungen gehört, weitere Forderungen zu überdenken. So können auch andere Themen zu Verhandlungsgegenständen gemacht werden, um die eigene Gehaltsvorstellung zu stützen. Mehr Urlaubstage, Weiterbildung, Ausstattung des Homeoffice, reduzierte Arbeitszeiten oder einen Dienstwagen sind z.B. weitere Forderungen, die ich als Verknüpfung zu meiner Gehaltsvorstellung bringen kann.

Gehaltsforderung an  Unternehmensziele koppeln

Nicht nur Sie als Arbeitnehmer haben bestimmte Ziele, ihre Vorgesetzten und ihr Arbeitgeber stecken sich ebenfalls jährlich neue Ziele, die Sie für ihre Zwecke nutzbar machen können und sollten. Jahresgespräche eignen sich als Zeitpunkt besonders gut, um eine Gehaltserhöhung zu verhandeln, da in dieser Zeit oftmals auch neue Unternehmensziele gesetzt werden.

Richten Sie ihre eigene Verhandlungstaktik an den Zielen ihres oder ihrer Vorgesetzten aus. Zukunftsgerichtete Leistungssteigerung statt vergangene Verdienstaufzählung sind erfolgsversprechender. Für die Vergangenheit wurden Sie schon bezahlt. Wichtig ist, dass Sie die Argumentation für ihre Gehaltserhöhung nicht auf privaten Herausforderungen, wie etwa Kinder oder Hausbau aufbauen, sondern ihren Willen für mehr Leistung und Verantwortung in der Zukunft deutlich machen.

Machen Sie ihrem Vorgesetzten oder ihrer Vorgesetzten klar, dass Sie bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen und ihre Komfortzone zu verlassen. Benennen sie Verantwortung für Aufgaben, die Sie und ihren Vorgesetzten eine gemeinsame Ziellinie teilen lässt.

Nun stellen nicht nur Jahresgespräche einen Anlass für eine Gehaltsverhandlung dar, sondern gehen vor allem auch mit einem Jobwechsel einher. Selbstverständlich können Sie sich in diesem Fall mit ihrem Gegenüber vorher nur bedingt auseinandersetzen. Trotzdem sollten Sie die Person „googeln“, um einen Eindruck zu gewinnen und auch persönliche oder berufliche Anknüpfungspunkte im Gespräch zu haben. Die Social-Business-Plattformen wie z.B. LinkedIn oder Xing eigenen sich hierzu gut.

Machen Sie dem oder der künftigen Vorgesetzten bewusst, welchen Mehrwert ihre Expertise für die übergeordneten Ziele des Unternehmens darstellt. Hierbei ist es sinnvoll, dem Gegenüber vergangene Erfolge und Aufgabenbereiche vor Augen zu führen und diese mit Hilfe von Empfehlungen und Referenzen erkennbar zu machen. Vergessen Sie allerdings nicht, die Bedeutung dieser Erfolge an ihre künftige Tätigkeit zu knüpfen und zu verdeutlichen, wie Sie hier unterstützen können.

Gehaltsverhandlungen  auch in Krisenzeiten

Die momentane Covid-19-Lage sorgt bei vielen Unternehmen und Branchen für  große Unsicherheit, was selbstverständlich die Frage mit sich bringt, ob man gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation eine Gehaltserhöhung fordern kann, beziehungsweise sollte.

Prinzipiell können Sie selbst nichts für die momentane Lage und sind auch nicht dafür verantwortlich. Dennoch ist es sicherlich sinnvoll, vorher zu überlegen, wie die momentanen Rahmenbedingungen ihre eigene Position beeinflussen.

Prüfen Sie, ob ihr Arbeitgeber unter der Covid-19-Pandemie leidet und ob sich dies in den Unternehmenszahlen widerspiegelt. Sollte das der Fall sein, so könnten Sie zum Beispiel um eine Gehaltsverhandlung zu späterer Zeit bitten. Dadurch berücksichtigen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage und zeigen Verständnis. Zugleich haben Sie sich die nächste Gehaltsverhandlung gesichert. Eine solche Abmachung sollten Sie in jedem Fall schriftlich festhalten.

Egal wie herausfordernd die Zeiten sein mögen, der Weg zur einer erfolgreichen Gehaltsverhandlung liegt in der richtigen Vorbereitung. Setzen Sie sich im Vorfeld ausgiebig mit ihrem Verhandlungsgegenüber und dessen Persönlichkeitsprofil auseinander. Bringen Sie die Ziele und Erwartungen ihrer oder ihres Vorgesetzten in Erfahrung und verbinden Sie diese mit ihren eigenen Zielen.

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Gehaltsverhandlung - Hauptartikel

Thorsten Hofmann leitet das C4 Center for Negotiation an der Quadriga Hochschule Berlin. Früher hat der ehemalige Mitarbeiter des BKA u.a. mit Geiselnehmern und Schwerstkriminellen verhandelt. Heute berät er Unternehmen, Verbände und Politik.

Thorsten Hofmann T 030 212342211 <a href="mailto:info@c4-quadriga.eu">info@c4-quadriga.eu</a> <a href="http://www.c4-quadriga.eu">www.c4-quadriga.eu</a>

Karriere

qz-online.de

Dr. Wilhelm Griga, Senior Quality Manager bei der Siemens AG, Digital Industries, hat beim ersten DGQ-Thementag Digitalisierung am 12. November 2020 einen Vortrag zum Thema „Cyborgs in der Produktion? – Einsatzmöglichkeiten für Smart Devices“ gehalten. In diesem Beitrag fasst er die wesentlichen Inhalte zusammen.

Dr. Wilhelm Griga, Senior Quality Manager bei der Siemens AG, Digital Industries, hat einen Vortrag zu diesem Thema gehalten

Betreten Sie den Weg der digitalen Transformation und entdecken Sie Einsatzmöglichkeiten, die für Sie von Nutzen sein könnten!

Wenn wir über digitale Transformation und Qualitätsmanagement sprechen, gilt es zu klären, was digitale Transformation bedeutet. Digitale Transformation oder auch digitaler Wandel beschreibt einen Veränderungsprozess. Einen Veränderungsprozess, in dem wir uns bereits befinden und welcher auf digitalen Technologien und Kulturwandel beruht. Die sich daraus ergebenden Potenziale umfassen die gesamte Gesellschaft, die Wirtschaft und das Qualitätsmanagement.

Warum ist es wichtig, darauf explizit hinzuweisen? Weil wir beim Einsatz von neuen, digitalen Technologien – beispielsweise in Form von Smart Devices – nicht vernachlässigen dürfen, die Bereitschaft, die Akzeptanz sowie die Kultur für digitale Transformation zu fördern.

„Smart Devices“ in Form von „Smart Glasses“ sind intelligente Geräte, die wie eine Brille getragen werden. Sie verarbeiten die Umgebung unter anderem audiovisuell und blenden Informationen im Sichtfeld des Nutzers ein. Sie ermöglichen eine sogenannte „augmented“- oder auch „mixed reality“-Erfahrung.

„Augmented reality“ steht dabei für die Erweiterung der Realitätswahrnehmung mittels digitaler Technologien, beispielsweise durch Einblendungen in unser Sichtfeld.

„Mixed reality“ stellt eine weitergehende Vermischung von physischer und virtueller Welt dar. Sie wird dadurch erzeugt, dass sich beim Nutzer natürliche mit computererzeugter Wahrnehmung mischen.

Mit Smart Glasses können dem Nutzer gezielt Informationen, beispielsweise bei der Bedienung von Geräten, visuell und audiovisuell übermittelt werden. Durch diese Hinweise lassen sich Prozesseffizienz und Prozessqualität steigern. Darüber hinaus ist es möglich, komplexe Tätigkeiten mittels Streaming zu verfolgen, zu kommentieren und zu dokumentieren. Fehler lassen sich damit vermeiden bzw. zeitnah ab- stellen.

Öffentlichkeitswirksam wurde das Thema „Smart Glasses“ bereits im Jahr 2012 mit der Vorstellung von „Google Glass“. Der Name leitet sich dabei von dem verwendeten  Glasprisma ab, welches Informationen in das Sichtfeld des Nutzers einblendet. Datenschutzrechtliche Bedenken in der Öffentlichkeit führten trotz hohem Interesse an der Technik jedoch dazu, dass Google die Explorer Edition wieder vom ursprünglich anvisierten Konsumentenmarkt nahm. Stattdessen wurde der Schwerpunkt erfolgreich auf die Weiterentwicklung und den Einsatz im industriellen Bereich gelegt.  Seit 2019 steht die Google Glass Enterprise Edition 2 industriellen Anwendern zur Verfügung.

Microsoft hat sich ebenfalls mit Smart Glasses beschäftigt. Nachdem die erste Version der sogenannten Microsoft HoloLens 2016 vorgestellt wurde, ist seit 2019 die Microsoft HoloLens 2 auf dem industriellen Markt. Technisch hat der Hersteller im Gegensatz zu Google Glass einen etwas anderen Weg beschritten. Als Betriebssystem wird nicht Android, sondern Microsoft Holographic OS verwendet. Der Nutzer blickt durch transparente Linsen, die durch Wellenleitertechnologie eine Überlagerung mit computergenerierten Bildern ermöglichen.

Geboten wird damit eine „Mixed Reality“-Erfahrung mit interaktiver 3D-Projektion und zusätzlich 3D-Audio. Die HoloLens erlaubt es dem Nutzer damit, holografische Projektionen in unmittelbarer Umgebung zu sehen und mit diesen zu interagieren. Darüber hinaus gibt es weitere namhafte Anbieter – wie RealWear, Vuzix – die Smart Glasses für den Einsatz im Unternehmen anbieten und beispielsweise die Anwendung auch in rauer Umgebung ermöglichen.

Die digitale Unterstützung von Fertigungsmitarbeitern der Firma Weidmüller erfolgt beispielsweise dadurch, dass kontextsensitive Informationen mit Hilfe von Smart Glasses bereitgestellt werden. Dies geschieht, ohne die Bewegungsfreiheit der Mitarbeiter einzuschränken. Anweisungen werden audiovisuell übermittelt und Qualitätssicherungs-, Rüst-, Wartungs- sowie Schulungsaufgaben unterstützt.

Datenbrillen werden im Lager bei DocMorris für effiziente und fehlerfreie Kommissionierabläufe eingesetzt. Dies führte zu einem positiven Feedback der Mitarbeiter, welche über eine deutliche Erleichterung der Arbeit, verbesserte Ergonomie und einfachere Informationsbereitstellung berichteten.

Bei Audi werden erstellte Augmented-Reality-Inhalte und Smart Glasses unter anderem für Schulungs- und Qualitätssicherungsaufgaben genutzt. Virtuelle Prüfpläne lassen sich ohne große Programmierkenntnisse erstellen und visuelle Prüfabläufe trainieren.

Smart Glasses lassen sich auch für Remote-Audits und Assessments nutzen. Was wie eine Vision wirkt, ist durchaus praktikabel. So wurden bei Siemens im QM- als auch EHS-Bereich erfolgreich Audits, Begehungen und Re-Zertifizierungen mit Hilfe von Datenbrillen remote durchgeführt.

Folgende Anwendungsbereiche von Smart Glasses lassen sich auf den ersten Blick im QM-und-QS-Bereich erkennen. Weitere Potenziale werden sich finden:

<ul><li>einfache Bereitstellung qualitätsrelevanter Informationen;</li><li>Fehlervermeidung durch audiovisuelle Unterstützung;</li><li>verbesserte Ergonomie;</li><li>Effizienzsteigerung von Prozessen;</li><li>audiovisuelle Dokumentation;</li><li>Fehleridentifikation durch Abgleich der Realität mit 3D-Modellen;</li><li>audiovisuelle Unterstützung und Dokumentation von Root-Cause-Analysen;</li><li>virtuelle Inspektionen, Audits und Begehungen.</li></ul>

Abschließend lassen sich folgende Empfehlungen für eine Implementierung geben:

<ul><li>Planungs- und Einführungsaufwand sowie datenschutzrechtliche Themen sollten explizit im Vorfeld der Einführung berücksichtigt werden.</li><li>Die für die geplanten Zwecke passende Hardware und Software ist mit Bedacht auszuwählen.</li><li>Einem Rollout in der Breite sollte unbedingt eine Pilotphase vorhergehen und der jeweilige Einsatz ausreichend getestet werden.</li></ul>

Aufgrund des überschaubaren Investitionsvolumens bietet sich die Beschaffung eines geeigneten Gerätes an, um erste Erfahrungen zu sammeln und durch sinnvoll geplante weitere Einsätze von „augmented reality“ im Qualitätsmanagement und in der Qualitätssicherung zusätzlichen Nutzen für das Unternehmen zu generieren.

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Dr. Wilhelm Griga ist Senior Quality Manager im Bereich Digital Industries der Siemens AG.

<a href="mailto:wilhelm.griga@th-nuernberg.de">wilhelm.griga@th-nuernberg.de</a>

Im Zeitalter zunehmender Automatisierung und Digitalisierung, Industrie 4.0, Produktindividualisierung und globaler Vernetzung müssen auch Mensch und Maschine immer enger zusammenarbeiten, um die optimale Produktivität der Produktionsprozesse zu garantieren. Je nach Anwendungsbereich können Mensch und Roboter unterschiedlich eng zusammenarbeiten. Auch wenn der Begriff „Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK)“ geläufig ist, kann das „K“ in MRK für verschiedene Ausprägungen der Zusammenarbeit stehen.

Im Zeitalter zunehmender Automatisierung und Digitalisierung, Industrie 4.0, Produktindividualisierung und globaler Vernetzung müssen auch Mensch und Maschine immer enger zusammenarbeiten, um die optimale Produktivität der Produktionsprozesse zu garantieren.

Bei der Mensch-Roboter-Kooperation arbeiten Mensch und Roboter im gleichen Arbeitsraum. Sie bearbeiten zeitversetzt unterschiedliche Aufgaben eines Prozesses. Es findet keine direkte Interaktion statt.

Bei der Kollaboration interagieren Mensch und Roboter in einem gemeinsamen Arbeitsraum miteinander. Beispielsweise reicht der Roboter dem Menschen etwas an oder beide führen gleichzeitig unterschiedliche Aufgaben am selben Bauteil durch.

Herausforderungen bei der  Mensch-Roboter-Kollaboration

Bei der Kollaboration von Mensch und Roboter muss gewährleistet sein, dass jede Interaktion absolut sicher ist, das heißt der Mensch zu keiner Zeit einer Gefährdung ausgesetzt ist. Mit der steigenden Effizienz moderner Methoden aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), insbesondere im Teilgebiet des Maschinellen Lernens, werden diese Verfahren auch vermehrt im Umfeld der Produktion eingesetzt. Deep-Reinforcement-Lernalgorithmen versetzen Roboter in die Lage, Sicherheitsstrategien innerhalb einer Simulationsumgebung nach dem Prinzip der Belohnung und Bestrafung zu lernen. Wegen ihres enormen Potenzials für die Mensch-Maschine Kollaboration wird in diesem Bereich derzeit viel Forschung betrieben.

Deep Reinforcement Learning ist eine Methode aus dem Bereich des Maschinellen Lernens, bei der ein Agent selbständig eine Strategie erlernt, um erhaltene Belohnungen zu maximieren. Dabei wird dem Agenten nicht vorgegeben, welche Aktion in welcher Situation die beste ist, sondern er erhält zu bestimmten Zeitpunkten eine Belohnung, die auch negativ sein kann (Bestrafung). Anhand dieser Belohnungen wird versucht, eine Nutzenfunktion zu maximieren, die beschreibt, welchen Wert ein bestimmter Zustand oder eine Aktion hat.

Die Begriffe „Agent“, „Beobachtung“, „Umgebung“, „Aktion“ und „Belohnung“ sind hierbei von zentraler Bedeutung. Sie lassen sich folgendermaßen definieren (Bild 1): Der Agent entscheidet, welche Aktionen auszuführen sind, auf Basis der Belohnung und den Beobachtungen. Der Roboter ist hierbei der Agent.

Eine Beobachtung ist eine Information aus der Umgebung, die an den Agenten übermittelt wird. Die Geschwindigkeit des Greifers, die Position des Greifers oder die Position des Hindernisses sind Beispiele für Beobachtungen.

Die Umgebung wird durch die Aktionen des Agenten beeinflusst und generiert Beobachtungen sowie eine Belohnung für den Agenten. Alle relevanten Informationen aus dem Anwendungsbereich bilden die Umgebung.

Eine Aktion wird vom Agenten ausgeführt und ändert den Zustand der Umgebung. Beispielsweise ist die Bewegung des Greifers eine Aktion.

Die Belohnung wird dem Agenten rückgemeldet und besagt, wie gut der Agent in diesem Schritt ist. Die Belohnung wird an den Agenten übermittelt. Es sei noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Reinforcement-Learning-Ansatz zur Kollisionsvermeidung nur in einer Simulationsumgebung stattfindet.

Bayes’sche Modelle validieren  Lernverfahren

Der Reinforcement-Lernalgorithmus gehört der Klasse der Künstlichen Neuronalen Netze (KNN) an. Da solche Netze zu den Black-Box-Algorithmen gehören, ist es wichtig, deren Ergebnisse in geeigneter Form zu bestätigen bzw. zu validieren.

Bayes’sche Netze stellen einen Formalismus zum Schließen bei unsicherem Wissen dar. Sie bestehen aus einem gerichteten azyklischen Graph, in dem die Knoten Variablen und die Kanten Abhängigkeiten zwischen diesen Knoten repräsentieren. Diese Abhängigkeiten werden mit Wahrscheinlichkeitswerten quantifiziert.

Bayes’sche Netze mit einem Vorgängerknoten, der Wurzel, sowie Nachfolgerknoten werden zur Klassifikation benutzt. Man nennt sie deshalb auch Bayes’sche Klassifikatoren. Hierbei stellen die Wurzel die Klassifkationsvariable und die Nachfolger die Attribute dar. Im vorliegenden Anwendungsfall soll versucht werden, zu bewerten, ob die aktuelle Aktion des Roboters sicher oder unsicher ist. Es wird also bewertet, wie wahrscheinlich das Risiko einer Kollision des Roboters mit einem Hindernis ist.

In Bild 2 ist das Prinzip der Validierung des Lernverfahrens dargestellt. Es wird klassifiziert, ob durch die aktuell nächste geplante Aktion des Roboters mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sicherer Zustand gewährleistet ist. Die Attribute sind hierbei alle Beobachtungen, die vom Roboter auszuführende Aktion sowie weitere Größen aus der Umgebung.

Es wurden drei Bayes’sche Modelle zur Validierung benutzt: der sogenannte naive Bayes’sche Klassifikator, der Tree Augmented Naive (TAN) Bayes’sche Klassifikator und ein Bayes’sches neuronales Netz. Diese werden im Folgenden bewertet und miteinander verglichen. Bild 3 zeigt beispielhaft den naiven Bayes’schen Klassifikator und das Bayes’sche neuronale Netz.

Die verschiedenen Modelle wurden mit Hilfe verschiedener Performance-Metriken bewertet und verglichen. Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass das Bayes’sche neuronale Netz die höchste Genauigkeit erzielt, allerdings über zwanzig Minuten für das Lernen des Modells benötigt. Die beiden Bayes’schen Klassifikatoren lassen sich in weniger als einer Sekunde bzw. in wenigen Sekunden lernen, sind jedoch in der Vorhersagegenauigkeit schwächer als das neuronale Netz.

Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse für ein statisches Hindernis. Da sich der Mensch bei seinen Tätigkeiten im Allgemeinen bewegt, sind die Aussagen nur von begrenztem Nutzen. Tabelle 2 vergleicht die Ergebnisse mit denen bei einem dynamischen Hindernis, was der realen Situation sehr viel näher kommt.

Es zeigt sich, dass die Ergebnisse bei dem dynamischen Hindernis nur unwesentlich schlechter sind.

Bis die oben beschriebenen Ansätze eine kollisionsfreie Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine garantieren können, bedarf es noch Forschungsarbeit.

Der Reinforcement-Learning-Ansatz funktioniert bisher nur in der Simulation und noch nicht an einem realen Roboter. Die entwickelten Methoden zur Validierung geben bisher lediglich eine Sicherheitswahrscheinlichkeit für einen risikolosen Zustand an und müssen deshalb weiterentwickelt werden. Die Forschungsansätze sind auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung und sollten weiterverfolgt und optimiert werden.

Bild 1. Die Interaktionen zwischen dem Agent und der Umgebung bei einem Reinforcement-Learning- Ansatz

Bild 2. Validierung des Reinforcement-Lernverfahrens mit Hilfe Bayes’scher Modelle 

Bild 3. Der naive Bayes’sche Klassifikator (links) sowie das Bayes’sche neuronale Netz (rechts)

Tabelle 1. Ergebnisse der drei Validierungsmodelle für ein statisches Hindernis 

Tabelle 2. Ergebnisse der drei Validierungsmodelle für ein dynamisches Hindernis 

DGQ Fachbeitrag_text02fb

Michael Kempf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, in der Gruppe für Qualitäts- und Zuverlässigkeitsmanagement. Seine Forschungsschwerpunkte sind statistische Methoden in den Bereichen Prozessoptimierung, Zuverlässigkeitsanalyse und Risikominimierung. Sein Spezialgebiet sind die Bayes’schen Modelle.

Michael Kempf T 0711 970-1836, F 0711 970-3606 

<a href="mailto:michael.kempf@ipa.fraunhofer.de">michael.kempf@ipa.fraunhofer.de</a>

Industrie 4.0 für die Qualitätssicherung

Industrie 4.0

Digitale Transformation

Wirtschaft

Innovationen und neue Technologie

Automatisierungstechnik

Prozessautomation

Fehlermanagement in der pharmazeutischen Herstellung

Solange nicht offen über Fehler kommuniziert wird, bleibt das Arbeiten am Fehler ein verschworenes Bemühen im Geheimen. Solange sich aber Fehlermanagement nicht als selbstverständlicher Teil des Qualitätsmanagements etabliert, ziehen Unternehmen es vor, über Fehler zu schweigen. Ein Pharmazieunternehmen durchbrach diesen Circulus vitiosus und startete eine Initiative, um Lernen aus Fehlern zum festen Bestandteil der QM-Praxis zu  entwickeln.

Solange sich aber Fehlermanagement nicht als selbstverständlicher Teil des Qualitätsmanagements etabliert, ziehen Unternehmen es vor, über Fehler zu schweigen.

Zu groß ist in vielen Unternehmen die Befürchtung, Kunden könnten hinter kommunizierten Fehlern strukturelle Probleme vermuten und ihr Vertrauen in die Produkt- und Dienstleistungs-qualität in Frage stellen. Dies war auch die Ausgangssituation bei einem pharmazeutischen Hersteller, der Produkte mit einem hohen Individualisierungsgrad vertreibt (das Unternehmen will namentlich nicht genannt werden). Es bewegt sich im Bereich so genannter High-Reliability-Organisations (HRO), wo einzelne Fehler fatale Folgen haben können.

Selbstverständlich hatte das Unternehmen ein QM-System etabliert, das seit Jahren regelmäßig auditiert und zertifiziert wurde. Die Unternehmensleitung spürte aber in den Teams eine zunehmend diffuse Unzufriedenheit mit diesem QM-System und wollte darauf reagieren. Die Mitarbeiter erlebten ihr Qualitätsmanagement primär als eine Sammlung formaler Dokumente in einer elektronischen Ablage, die wenig praktische Auswirkung auf ihren Arbeitsalltag hatte. Mehr noch: Die Teams hatten sich in ihren Team-Laufwerken eigene Anleitungen, Listen und Praxishinweise geschaffen, die den Mitarbeitern im Alltag als Orientierung dienten.

Diese Dokumente wurden „auf dem kurzen Dienstweg“ ständig aktualisiert und erfüllten ihren Zweck in der Praxis. Die „offiziellen“ QM-Dokumente wurden dagegen zeitverzögert aktualisiert – für die Teamleitungen eine zeitfressende Aufgabe, die keinen Mehrwert für die Arbeit ihrer Teams schuf. Die Unternehmensleitung wollte deshalb das QM auf neue Beine stellen und dieses gewachsene Nebeneinander von praktisch gelebter Qualitätsarbeit und zertifiziertem Qualitätsmanagement aufheben.

Ein besonderer Schmerzpunkt für die Teamleitungen war der so genannte „Qualitätszirkel“, ein Gremium, das im Abstand von zwei Wochen über alle aufgetretenen Fehler diskutierte. Mitarbeiter berichteten von inneren Widerständen angesichts dieses Routinetermins, einige schilderten auch regelmäßig auftretendes körperliches Unwohlsein vor diesen Terminen. In dieser Runde berichteten Vertreter aller Teams die in den letzten zwei Wochen aufgetretenen Fehler in ihrem Arbeitsbereich. Die berichteten Fehler wurden dokumentiert, eine Person aus dem Kreis wurde als „zuständig“ benannt, und diese Person sollte in der nächsten Sitzung über Maßnahmen berichten.

Die „Maßnahme“ bestand häufig darin, dass mit einem betreffenden Mitarbeiter gesprochen worden ist. Häufig wurden auch Checklisten eingeführt, die das Auftreten dieses Fehlers zukünftig verhindern sollten. Dies führte zu einer Inflation von Listen und Warnhinweisen, die die Motivation der Mitarbeiter weiter bremste.

Die überwiegende Mehrheit der berichteten Fehler bezog sich auf die Kommissionierung der gefertigten Waren. Mal fehlten von Kunden angeforderte Zusatzetiketten auf der Ware, mal war medizinisches Zubehör nicht mit dem Produkt zusammen eingeschweißt, mal waren Lieferungen an Kunden nicht vollständig und ein zusätzlicher Fahrer musste fehlende Produkte nachliefern.

Das Unternehmen setzt darauf, Sonderwünsche der Kunden in der Kommissionierung zu bedienen und den Kunden eine hohe Flexibilität auch für kurzfristige Beauftragung zu bieten. Zusammen mit einem starken Wachstum verursachte diese Kundenorientierung hohen Druck auf die Teams in Auftragsannahme, Produktionsvorbereitung, Produktion und Kommissionierung. Der nur unvollständig digitalisierte Auftragsprozess hielt mit dem Wachstum des Unternehmens nicht Schritt.

Neue Handlungsfelder  und Verantwortlichkeiten

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage hat das angestoßene Verbesserungsprojekt drei Handlungsfelder identifiziert:

<ul><li>Die Verantwortung für das Qualitätsmanagement sollte vom etablierten QM-Beauftragten auf die Teamleiter übergehen. Die Qualität der gemeinsam erbrachten Leistung und ihre Dokumentation sollten nicht mehr auf eine Person delegiert werden sondern als gemeinsame Aufgabe der Teamleitungen verstanden werden.</li><li>Das Prozess-Wissen sollte aus dem Nebeneinander von offizieller und gelebter Dokumentation heraus in eine einheitlich gesteuerte, aber in der Praxis nutzbare und kontinuierlich pflegbare Form überführt werden. Das Gliederungsprinzip für diese Dokumentation sollten die identifizierten Kern- und Unterstützungsprozesse des Unternehmens sein. Die Mitarbeiter sollten auf alle Informationen, die sie für die Ausführung von Arbeitsschritten benötigen, über eine Visuelle Darstellung ihrer Prozesse in einem Prozessportal zugreifen.</li><li>Der Qualitätszirkel in seiner gewachsenen Form sollte abgeschafft und stattdessen ein praktikableres Format entwickelt und etabliert werden. Das Augenmerk sollte nicht mehr auf dem einzeln aufgetretenen Fehler liegen. Vielmehr sollten die Muster hinter den Fehlern analysiert werden, die auf gemeinsame Fehlerursachen hinweisen. Die Ursachenforschung für Fehler sollte künftig im Vordergrund stehen.</li></ul>

Bei der neu verstandenen Verantwortung für Qualitätsmanagement startete das Unternehmen mit einer organisatorischen Änderung. Nach einem Personalwechsel sollte ein neuer QM-Beauftragter benannt werden. Das Unternehmen bezeichnete diese Position allerdings nicht mehr mit diesem etablierten Begriff, sondern als Qualitätsmanagement-Koordinator (QMK). Diese Rollenbezeichnung sollte darauf hinweisen, dass dort nicht mehr die Verantwortung für das QM sondern nurmehr die Koordination der Bemühungen liegen sollte. Der neue QMK wurde organisatorisch zum Teil des neu geschaffenen Teams der Teamleiter im Unternehmen. Dieses Team zeichnet fortan gemeinsam für die erbrachte und dokumentierte Qualität der Leistungen aus dem Labor verantwortlich.

Natürlich genügt es nicht, nur die Rollenbezeichnung und die Linien im Organigramm anzupassen. Das wäre Etikettenschwindel. Es geht vielmehr darum, aus den bisher nur lose verbundenen Teamleitern für Kundenberatung, Arbeitsvorbereitung, Produktion, Kommissionierung, Auslieferung und Abrechnung sowie dem QMK ein Team zu schaffen, das diese gemeinsame Verantwortung auch wirklich wahrnimmt. Kehren vor der eigenen Haustüre reicht nicht, wenn über die Arbeitsteams hinweg eine komplexe und sensible Dienstleistung zu erbringen ist.

In einem ReTeaming-Prozess sollte das Leitungsteam die Ressourcen für eine wirksame Zusammenarbeit erarbeiten und eine innere Struktur aufbauen, die der gemeinsamen Qualitätsverantwortung gerecht wird. Kristallisationspunkt dieser neuen Struktur war ein besseres Konzept anstelle des bisherigen Qualitätszirkels zur Bearbeitung von Fehlern. In diese Bemühung der Teamentwicklung brach die Pandemie im Frühjahr 2020. Nach dem ersten gemeinsamen ReTeaming Workshop  war es nicht mehr vertretbar, alle Teamleiter in einem Raum zusammenzubringen, zumal Kleingruppenarbeit und gruppendynamische Prozesse unter geltenden Abstandsregeln besonders schwierig sind.

In den folgenden Monaten gab es zahlreiche virtuelle Sitzungen in unterschiedlicher Zusammensetzung, aber es gelang nicht, den Teambildungsprozess als solchen im virtuellen Raum fortzusetzen. Die Mitarbeiter entwickelten sehr schnell die Routine, sich in Webkonferenzen über anstehende Sachthemen effektiv zu verständigen – aber Themen, die auf der Beziehungsebene zu bearbeiten waren, blieben in dem Prozess auf der Strecke. Es wird notwendig sein, diesen Ball in naher Zukunft wieder aufzunehmen.

 Handlungsfeld  „QM-Dokumente und Prozesse“

Hier geht es darum, die Arbeitsanleitungen und internen Nachschlagewerke, wie sie im operativen Alltag genutzt werden, mit den „offiziellen“ im QM geführten Dokumentationen zusammenzubringen. Der QMK hat dazu zusammen mit den beteiligten Mitarbeitern übersichtliche visuelle Modelle der wertschöpfenden Prozesse im Unternehmen erstellt. Die Modelle stellen dar, wer in welcher Reihenfolge welche Aktivitäten erledigt und wie die Informationen zwischen den Beteiligten fließen.

Das Modell klärt auch die Verantwortung im Prozess. Die einzelne Person ist verantwortlich, dass sie ihre Aktivität nach den Anforderungen des Gesamtprozesses zuverlässig erledigt. Dass aus den vielen Einzelaktivitäten schließlich ein gutes Gesamtprodukt wird, ist die gemeinsame Verantwortung des Teams.

Das Prozessmodell soll dabei helfen. Hier findet jeder Bearbeiter zu den für ihn relevanten Aktivitäten alle Anleitungen mit Informationen zu Inhaltsstoffen und Präferenzen der verschiedenen Kunden. Er sieht aber auch den Zusammenhang seiner Arbeit im Gesamtprozess und versteht, warum die Anforderungen an seine Arbeit für das Team wichtig sind.

Die Mitarbeiter finden die Prozessmodelle in einem Portal im Intranet des Unternehmens und können hier direkt die gültigen Anleitungen und weiterführenden Informationen öffnen.

Beobachtete Fehler sollten nicht mehr durch die Teamleitungen gefiltert berichtet werden, vielmehr sollten die Mitarbeiter unmittelbar ihre Beobachtungen über Abweichungen festhalten. Ein kurzes Mail an eine Funktionsadresse genügt und die Meldung landet in einem Kanban-Board beim QMK. Der sichtet die eingehenden Meldungen täglich und kategorisiert sie nach vier Kriterien:

<ul><li>dem Prozessschritt, wo die Abweichung aufgetreten ist,</li><li>der Schwere der möglichen Auswirkung für den Kunden,</li><li>dem Fehlermuster und</li><li>der Unterscheidung, ob der Fehler intern korrigiert wurde oder den Kunden erreicht hat.</li></ul>

Der QMK leitet für einzelne Fehlermeldungen eine Ursachenanalyse ein und schaut dabei auf zwei Dimensionen. Zum einen die vertikale Untersuchung des Fehlers – seine Fragen gehen an der Stelle in die Tiefe, wo die Abweichung aufgetreten ist. Die zuständige Person wird zur Expertin für ihre Beobachtung. Nur sie kennt alle Umstände des Auftretens. Die Fragen umfassen alle Faktoren, die ihr Verhalten an diesem Tag hätten beeinflussen können. Die Herangehensweise war für die befragten MitarbeiterInnen neu. Sie melden zurück, dass sie diese Interviews als wertschätzendes Interesse an den Umständen empfinden. Bei diesen Befragungen stellten sich neue Fehlerursachen heraus, die mit dem eilends verordneten Home Office zu tun hatten: Die Mitarbeiter hatten ein Laptop und einen externen Bildschirm für zu Hause erhalten, im Büro verwendeten sie für die Überprüfung der Produktionsaufträge aber regelmäßig zwei Bildschirme. Das Lesen auf der Laptopanzeige führte zu Verwechslungen von Zahlen.

Die zweite Fragerichtung kann als horizontale Betrachtung angesehen werden: Die Untersuchung folgt dem einzelnen Auftrag, bei dem die Abweichung beobachtet wurde. Dabei wird nach Auffälligkeiten gesucht, die bereits bei vorherigen Arbeitsschritten dieses Auftrags beobachtet werden konnten. So stellte sich heraus, dass bei dem schnellen Wechsel ins Homeoffice der Prozess geändert wurde. Wo vorher die Kontrolle der ausgedruckten Produktionsetiketten als Freigabe des Auftrags fungierte, mussten die Kollegen im Home Office den zugrunde liegenden Datensatz prüfen. Die Etiketten wurden danach in der Arbeitsvorbereitung gedruckt. Dieser Ablauf war neu und nicht dokumentiert – einzelne Etiketten wurden mehrfach gedruckt und fielen erst in der Endkontrolle auf. Teure Produkte mussten in der Folge vernichtet werden.

Erst deutlich mehr Fehler, dann sichtbare Verbesserung

Für die Geschäftsleitung war der starke Anstieg der Fehlermeldungen zunächst erschreckend. Dieser geht einher mit einer geschärften Beobachtung. Kamen vorher nur die Fehler in die Kommunikation, die von den Teamleitungen als „relevant“ betrachtet wurden, so sind nun alle Mitarbeiter sensibilisiert, Abweichungen von den geübten Prozessen zu beobachten. Nur so ist es möglich, hinter den Fehlern Muster zu erkennen, die auf gemeinsame Ursachen weisen. So kann Fehlermanagement wirklich an den Ursachen im Prozess ansetzen.

Bild 1. Das BPMN-Prozessmodell des Herstellprozesses eines Pharmazieunternehmens verweist hinter jeder Aktivität auf die entsprechenden Arbeitsanleitungen und Detailinformationen.

QM in Pharmazie

Dr. Rainer Feldbrügge ist systemischer  Organisationsberater und Experte für digitale Geschäftsprozesse. Er begleitet Unternehmen im Qualitätsmanagement, in der Teamentwicklung und durch Nachfolgephasen

<a href="mailto:rf@feldbruegge.eu">rf@feldbruegge.eu</a>

<a href="http://www.feldbruegge.com">www.feldbruegge.com</a>

Null-Fehler-Management

Fehlermanagement

Mit der VDI-4000-Norm zum richtigen Reifegradmodell

Mit Hilfe von Reifegradmodellen lassen sich unternehmensspezifische Prozesse und Abläufe analysieren und daraus geeignete Maßnahmen ableiten. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat ein Normierungsverfahren entwickelt, das die Identifikation eines Modells beherrschbar macht. Die VDI-4000-Norm beschreibt ein Tool zur vereinfachten Auswahl eines passenden Reifegradmodells.

Mit Hilfe von Reifegradmodellen lassen sich unternehmensspezifische Prozesse und Abläufe analysieren und daraus geeignete Maßnahmen ableiten.

Produzierende Industrien werden stets vor neue und komplexere Herausforderungen gestellt. So auch die Lebensmittelindustrie. Krisen, wie die Covid-19-Pandemie, führen zu starken Auftragsschwankungen, die die Produktionsabläufe mit sowohl stark sinkenden als auch stark steigenden Arbeitseinsätzen beeinflussen. Kurzfristige Anpassungen der Prozesse sowie die optimale Bereitstellung der Rohmaterialien gewinnen immer mehr an Bedeutung. Traditionelle Technologien und Arbeitsmethoden können den flexiblen Kundenwünschen, den komplexen Wertschöpfungsketten sowie den wachsenden Anforderungen der Behörden nicht mehr gerecht werden. Wettbewerbsfähig bleibt also nur derjenige, der ein breites Produktspektrum zu marktfähigen Preisen anbietet. Somit sind neue Kompetenzen stärker gefragt denn je.

Im Zuge der vierten industriellen Revolution, Industrie 4.0, wurde die Vision einer vernetzen und datengetriebenen Fabrik der Zukunft vorgestellt. In der produzierenden Industrie, folglich auch in der Lebensmittelindustrie, lassen sich Zielgrößen, wie Robustheit der Lieferkette, Flexibilität in der Produktion und effiziente Unternehmensprozesse zunehmend vereinen.

Unter dem Einsatz neuer, digitaler Technologien sowie der Vernetzung von Gegenständen und Maschinen wird das systematische und automatisierte Lernen aus Daten zu einem Erfolgsfaktor. So können schneller die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Das datenbasierte Lernen durch integrierte Informationsflüsse aus technischen und geschäftlichen Prozessen führt zu einem neuen Produktionsstandard aus Effektivität und Agilität [1].

Die Bereitschaft, den Wandel der Digitalen Transformation als Chance zu begreifen, wächst in der deutschen Wirtschaft. So ergab eine Umfrage von Bitkom Research 2020, dass 90 Prozent der befragten Vorstände die Digitalisierung als notwendigen Treiber für einen Wandel sehen. Besonders vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie wurde die Notwendigkeit, die Digitalisierung weiter voranzutreiben, deutlich. Dennoch wurde ebenfalls in dieser Umfrage deutlich, dass ein Großteil der Unternehmen in den Digitalisierungsmöglichkeiten deutlich hinterherhinken [2].

Transformation und Evaluation  von Produktionssystemen

Um die Digitale Transformation gewinnbringend voranzutreiben und zeitgleich die gesetzten Unternehmensziele zu erreichen, bedarf es einer strukturierten Herangehensweise. Reifegradmodelle stellen ein geeignetes Vorgehen dar, den gegenwärtigen Zustand von unternehmensspezifischen Prozessen und Abläufen aufzunehmen, um daraus geeignete Maßnahmen abzuleiten.

Aufgrund der hohen Anzahl an Reifegradmodellen wurde von dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ein Normierungsverfahren entwickelt, welches die Identifikation eines geeigneten Modells beherrschbar macht. Mit der VDI-4000-Norm wird ein Tool zur vereinfachten Suche eines passenden Reifegradmodells zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse werden Ende 2020 zunächst in einem VDI-Richtlinien-Entwurf erscheinen.

Das VDI-Normverfahren orientiert sich an den Reifegradstufen des acatech Industrie-4.0-Maturity Index, die an den Entwicklungsstufen der Datenanalysen angelehnt sind. Hierbei werden sechs Reifegradstufen der Digitalisierung unterschieden, entlang derer Unternehmen ihre individuellen Ansätze aufeinander abstimmen können (Bild 1).

Die ersten beiden Stufen, Computerisierung (Stufe 1) und Konnektivität (Stufe 2) stellen mit ihren Initiativen die Grundlage für eine Industrie 4.0-Implementierung dar. Hierbei stehen unter anderem die Einführung von Informationstechnologien sowie deren Vernetzung im Fokus. Darauf aufbauend werden in einem ersten Industrie-4.0-Transformationsschritt, Sichtbarkeit (Stufe 3), Entscheidungen auf Basis der gewonnenen Daten getroffen. Die zunehmende Verfügbarkeit von Informationen ermöglicht eine weitreichende Unterstützung von fundierten Entscheidungen. In der vierten Entwicklungsstufe, definiert als Transparenz, geht es um das Verstehen komplexer Zusammenhänge. Durch die Nutzung der erzeugten Informationen, können Analysen zu einem besseren Prozessverständnis durchgeführt werden, was zu beschleunigten Entscheidungs- und Anpassungsprozesse führt.

Die beiden ausgeprägtesten Stufen, Prognosefähigkeit (Stufe 5) und Adaptierbarkeit (Stufe 6), umfassen das proaktive Handeln bevorstehender Situationen sowie die Selbstoptimierung der Systeme. Auf Basis von bereits analysierten Daten sowie Simulationstools können künftige Ereignisse prognostiziert werden. Eine proaktive Reaktion auf veränderte Bedingungen kann so antizipiert und teilweise autonom von Maschinen vorgenommen werden.

Diese sechs Reifegradstufen bewerten vier Gestaltungsfelder und erzeugen somit eine ganzheitliche Sicht auf das zu prüfende Unternehmen. Ressourcen umfassen sowohl physische als auch immaterielle Ressourcen, wie Maschinen und Mitarbeiter (Bild 2). Diese sollten die Erfassung, Verarbeitung und Interpretation von den (bereitgestellten) Informationen beherrschen. Informationssysteme beziehen sich auf die Integration der IT-Systeme und Informationsverarbeitung. Hier stehen die Verarbeitung und Verbreitung von Daten in Echtzeit entlang der Wertschöpfungskette im Fokus. Organisationsstruktur umfasst die interne Organisation, also der Aufbau von aufgaben- oder zielorientierten Teams, sowie die Zusammenarbeit im Wertschöpfungsnetzwerk, also der interne und externe Informationsaustausch. Kultur fokussiert die Bereitschaft für Veränderung sowie die soziale Kollaboration in einem Unternehmen.

Die Auswahl eines geeigneten Reifegradmodells mit Hilfe der VDI-4000-Norm erfolgt über die Identifizierung eines passenden Modelltyps. Dazu werden als primäre Entscheidungskriterien der Umfang der Reifegraduntersuchung sowie  der Detaillierungsgrad von Handlungsempfehlungen herangezogen. Die Norm empfiehlt

<ul><li>einen Schnelltest mit einfachem Fragenkatalog ohne Handlungsempfehlungen,</li><li>einen erweiterten Schnelltest mit umfangreicheren Fragebogen und allgemeingültige Handlungsempfehlungen oder</li><li>eine umfangreiche Untersuchung mit internen und externen Experten mit detaillierten Ergebnissen und individuellen Digitalisierungsmaßnahmen.</li></ul>

Sekundäre Entscheidungskriterien können anhand der eigenen Zielsetzungen für die Reifegraduntersuchung festgelegt werden. Diese umfasst Vorwissen, Ist-Analyse, Unterstützung, Unternehmensbereiche, inhaltliche Aspekte und Darstellung der Ergebnisse.

Strukturierte Reifegradermittlung in der Lebensmittelindustrie

Die umfangreiche Reifegraduntersuchung wird an einem Beispiel aus der Lebensmittelindustrie erläutert. Das Unternehmen ist ein Süßwarenhersteller mit mehreren internationalen Standorten. Pro Werk sind einige hundert Mitarbeiter beschäftigt. Charakteristisch für die Lebensmittelindustrie sind heterogene Produktionslandschaften mit kombinierten Batch- und Stückproduktionen, eine hohe Produktvielfalt und große Unterschiede in der Automatisierung und Konnektivität der Anlagen.

In einer einwöchigen Status-Quo-Analyse wurde mittels Prozessbegehungen und Interviews der digitale Reifegrad des Werks aufgezeigt. Die Analyse umfasste alle zentralen Prozesse der Wertschöpfungskette, also die Produktionsplanung, Produktion, Logistik, Qualitätssicherung und Instandhaltung. Fokussiert wurden unternehmensspezifische Ziele, die den Industrie-4.0-Potenzialen zugrunde liegen: Produktivitätserhöhung, Effizienzsteigerung und Ausschussreduzierung.

Für das beurteilte Werk wurde ein durchschnittlicher Reifegrad von 2,4 ermittelt. Jedoch war festzustellen, dass die einzelnen Reifegradstufen der Gestaltungsfelder zwischen 1,6 und 3,0 stark variierten. Durch die Anwendung von Lean-Methoden, einer abteilungsübergreifenden Kollaboration sowie flacher Hierarchien waren die Gestaltungsfelder Organisationsstruktur und Kultur am stärksten entwickelt. Auf der Kehrseite waren die Produktionsanlagen noch nicht an die IT-Systeme angebunden und Verfahrensdaten standen nicht digital zur Verfügung. Die unzureichende IT-Integration führte zu Medienbrüchen und daraus resultierender fehlerhafter Dokumentation.

Auf Basis des Status Quo konnten innerhalb von zwei Wochen konkrete Digitalisierungsmaßnahmen abgeleitet und in einer Roadmap priorisiert werden. Diese Maßnahmen fokussieren in einem ersten Schritt die identifizierten Defizite und sollten in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren umgesetzt werden. In einem zweiten Schritt sollen die Maßnahmen durch die Entwicklung der Gestaltungsfelder den digitalen Fortschritt gleichmäßig ausbauen. In Summe wurden 31 Maßnahmen definiert. Für die Produktionsanlage werden beispielsweise nicht berücksichtigte kurze Stopps für eine erste Analyse manuell erfasst.